Rezension

Spannender , wendungsreicher Thriller mit gruseligen Momenten und kleineren Schwächen

Das Böse in ihr - Camilla Way

Das Böse in ihr
von Camilla Way

~ „Das Böse in ihr“ ist ein spannender, wendungsreicher und unvorhersehbarer Thriller, der diese Genrezuordnung auch verdient. Schon nach wenigen Seiten war ich in der Geschichte angekommen, die auf zwei Zeitebenen spielt, die auf gefinkelte Weise miteinander verbunden sind. Thematisch stehen Familie, Schuld psychische Krankheiten und die beunruhigende Frage, wie gut man einen geliebten Menschen überhaupt wirklich kennen kann, im Mittelpunkt. Camilla Ways schreibt flüssig, angenehm und sehr einfach, wodurch sich das Buch schnell lesen lässt. Die Geschichte ist zwar „abgedreht“, aber niemals unglaubwürdig oder zu konstruiert, nur gegen Ende wurden es mir zu viele detaillierte Erklärungen – diesen Teil hätte man raffen und den LeserInnen doch mehr eigene Schlussfolgerungen zutrauen können. Die meisten Figuren sind meiner Meinung nach gut ausgearbeitet, interessant und authentisch – dass fast alle von ihnen unsympathisch sind und Geheimnisse haben, hat mich nicht gestört, sondern vielmehr fasziniert! Die Protagonistinnen sind allerdings nicht gleich gut gelungen: Während Beth eine starke und liebevoll ausgearbeitete Persönlichkeit ist, würde ich Clara als „nett“, aber gleichzeitig leider auch etwas blass und austauschbar beschreiben. Die fast durchgehende psychologische Spannung, die die Autorin dieses Pageturners von Anfang an kreiert, gehört zu den größten Stärken des Buches! Erst gegen Ende lässt die Spannung etwas nach. Richtig begeistert haben mich außerdem die unheimlichen, intensiven Gänsehaut-Momente, die einen immer wieder erschaudern lassen. Das Einzige, was mir beim Lesen gefehlt hat, war an manchen Stellen (besonders auch was den Schreibstil betrifft) Tiefe. Leider fürchte ich auch, dass mir die Geschichte (abgesehen von ein paar intensiven Momenten) nicht allzu lange in Erinnerung bleiben wird. Die Lektüre fühlte sich teilweise ein bisschen an wie literarisches „Fast Food“, das man zwar schnell konsumieren kann, das danach aber leider kein vollkommen befriedigtes Gefühl im Bauch hinterlässt. EinsteigerInnen in das Genre und Menschen, die auf der Suche nach einem leicht zu lesenden, kurzweiligen Thriller sind, können mit diesem Buch aber sicher (wie ich) einige schöne Stunden verbringen! ~

Inhalt

Clara ist vor Sorge außer sich. Ihr geliebter Freund kommt eines Tages nicht nach Hause, obwohl am nächsten Tag eine wichtige berufliche Besprechung stattfindet, auf die er sich schon wochenlang gewissenhaft vorbereitet hat. Zuerst hoffen die Polizei und ihre Freunde, dass Luke sich nur eine Auszeit genommen hat und wieder auftauchen wird, doch Claras Bauchgefühl sagt ihr etwas anderes. Als sie auf seinem Laptop nachschaut, findet sie einen Ordner mit hasserfüllten, bedrohlichen Mails von einer weiblichen Stalkerin. Luke hat ihr die Nachrichten nie gezeigt. Schon bald muss sie einsehen, dass sie ihren Freund nicht so gut kennt, wie sie dachte…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Piper
Seitenzahl: 368
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive, selten männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: - Ein Vogel wird von einem kleinen Mädchen getötet (auf die genaue Todesart wird nicht eingegangen), sein Kopf wird von ihr abgetrennt (das wird allerdings nicht beschrieben). Zudem verfängt sich ein Kaninchen in einem Zaun; es wird zwar im ersten Schritt gerettet, ist aber tödlich verletzt. Daher wird es erlöst, indem ihm von einer Figur das Genick gebrochen wird. Zusätzlich wird Fleisch gegessen. Immerhin wird ein alter Familienhund sehr gut behandelt.

Warum dieses Buch?

Die begeisterten Rezensionen im englischsprachigen Raum, das düstere Cover und der spannend klingende Klappentext haben mich sofort neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (+)

„Anfangs erkannte ich den abgedrehten Kopf gar nicht. Erst als ich näher kam, ging mir auf, dass es Lucy war.“ Position 29

Der Einstieg ist mir sehr leicht gefallen. Es dauerte nur wenige Seiten bzw. Kapitel, bis ich mit dem Schreibstil warm geworden war und mich an den Wechsel zwischen den zwei Zeitebenen gewöhnt hatte.

Schreibstil (+/-)

Camilla Way hat einen sehr flüssigen, angenehmen und einfachen Schreibstil, wodurch sich das Buch sehr schnell lesen lässt. Manchmal wurden mir etwas zu viele (eigentlich simple) Sätze aneinandergereiht, wodurch die Sprache auf den ersten Blick komplexer aussah, als sie eigentlich war. Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Sätze nicht künstlich gestreckt werden, sondern dass man öfter Punkte setzt. Zudem hat mir leider beim Schreibstil Tiefe gefehlt, die Lektüre fühlte sich teilweise an wie literarisches „Fast Food“, das man zwar schnell konsumieren kann, das danach aber leider kein zufriedenes Gefühl im Bauch hinterlässt.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„‘Wie anders Menschen sein können, ganz anders, als sie auf den ersten Blick erscheinen, nicht?‘“ Position 3059

Camilla Way hat mit „Das Böse in ihr“ einen spannenden, wendungsreichen Pageturner erschaffen, der über weite Strecken nicht vorhersehbar ist, viele falsche Fährten legt und immer wieder überraschen kann! Der Thriller, der diese Genre-Zuordnung auch verdient hat, spielt auf zwei verschiedenen Zeitebenen, die auf gefinkelte Weise miteinander verbunden sind. Eine nimmt uns mit in die 80er-Jahre und beschreibt die Probleme, die eine Familie mit ihrem schwierigen, emotionslosen Kind hat, die andere behandelt die Gegenwart und das Verschwinden von Luke. Ich habe beide Erzählstränge gern gelesen. Stärker fand ich jedoch die Geschichte, die in der Vergangenheit spielt – sie hatte einige sehr gelungene Momente! Die Kapitel in der Gegenwart hingegen waren nach dem klassischen Thriller-Rezept aufgebaut –  und dieses ist auch gelungen umgesetzt, jedoch hebt sich das Buch auf diese Weise nur durch die Geschichte in der Vergangenheit von anderen Büchern des Genres ab.

Thematisch stehen Liebe, Familie, Schuld und psychische Krankheiten im Fokus. Es geht um Dinge, die einen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart verfolgen, um die Opfer, die wir bereit sind, zu bringen, um ein Ziel zu erreichen, und um die beunruhigende Frage, wie gut man einen geliebten Menschen wirklich kennen kann. Obwohl viele Themen sehr gut umgesetzt wurden, hätte ich mir bei manchen Punkten noch etwas mehr Tiefe gewünscht.

Auch wenn die Geschichte zugegebener Weise etwas „abgedreht“ ist, wurde sie für mich jedoch nie unglaubwürdig oder zu konstruiert – im Gegenteil, ich mochte die Enthüllungen und Wendungen sehr! Gegen Ende wurden es mir jedoch zu viele detaillierte Erklärungen – diesen Teil hätte man raffen und den LeserInnen doch mehr eigene Schlussfolgerungen zutrauen können. Das genretypische Ende fand ich in Ordnung, auch wenn es mir wohl nicht lange in Erinnerung bleiben wird.

Protagonistinnen & Figuren (+/-)

Die Figuren sind meiner Meinung nach insgesamt gut ausgearbeitet, authentisch und interessant – wer allerdings Wert auf sympathische Charaktere legt, wird wahrscheinlich enttäuscht. Ich hingegen fand es interessant und faszinierend, dass alle Figuren ihre Fehler, Schwächen und Geheimnisse haben. Was die Protagonistinnen – Clara und Beth – betrifft, so war ich insgesamt zufrieden. Beth fand ich eine sehr starke Persönlichkeit, Clara bleibt vergleichsweise etwas blass und austauschbar – sie hat keine Ecken oder Kanten. Ich werde sie als „nett“ in Erinnerung behalten, sie aber wohl auch bald vergessen haben.

Spannung & Atmosphäre (♥)

„In ihren Augen war etwas, eine vollkommene Leere, wenn man es so nennen will, über die man lieber nicht allzu lange nachdachte.“ Position 1928

Die fast durchgehende psychologische Spannung, die die Autorin von Anfang an kreiert, gehört zu den größten Stärken des Buches! Das Buch wird schnell zum Pageturner: Man blättert Seite um Seite um, während man miträtselt und versucht keinen falschen Fährten zu folgen (Spoiler: Es passiert trotzdem!). Erst gegen Ende lässt die Spannung etwas nach, weil zu viel und zu lang erklärt wird.

Richtig begeistert haben mich außerdem die unheimlichen, intensiven Gänsehaut-Momente, die einen immer wieder erschaudern lassen. Vor allem Hannahs Verhalten als Kind hat mir stellenweise das Blut in den Adern stocken lassen. Dieser Thriller zeigt wieder einmal, dass die gruseligsten Monster jene in Menschengestalt sind!  

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Camilla Way hat in ihrem Buch, was diesen Punkt betrifft, viel richtig gemacht: Zum einen war das Geschlechterverhältnis sehr ausgeglichen und viele Frauen haben eine hohe Bildung und angesehene Berufe oder Führungspositionen. Eine junge Frau setzt sich sogar für Frauenrechte ein. Zum anderen hat das Buch auch den Bechdel Test bestanden (zwei Frauen, die einen Namen tragen, unterhalten sich über etwas anderes als einen Mann miteinander). Männer weinen, sind sensibel, kümmern sich um Kinder und kochen, Frauen retten Leben und treffen schwerwiegende Entscheidungen. Auch sexualisierte Gewalt wird angesprochen.

Nur in manchen Punkten gibt es noch Verbesserungsbedarf: Leider gab es auch einige Fälle von geschlechterspezifischen Beleidigungen (Schlam++, Miststück) und manchmal werden Frauen auf ihr Äußeres reduziert, als würde nur das zählen (attraktive S++bombe etc.). Am meisten hat mich aber die Doppelmoral aufgeregt: Ein verheirateter Mann betrügt seine Ehefrau, aber seine Affäre, die niemandem Treue geschworen hat (!), ist die Schla+++!? Ernsthaft?! Dieses misogyne Denken muss endlich aus den Köpfen verschwinden! Zusätzlich hat mir die verallgemeinernde Behauptung nicht gefallen, dass Frauen immer die Scherben zusammenfegen müssten, die Männer angeblich hinterlassen. Was steckt da schon wieder für ein stereotypes Geschlechterbild und vor allem negatives Männerbild dahinter?

Mein Fazit

„Das Böse in ihr“ ist ein spannender, wendungsreicher und unvorhersehbarer Thriller, der diese Genrezuordnung auch verdient. Schon nach wenigen Seiten war ich in der Geschichte angekommen, die auf zwei Zeitebenen spielt, die auf gefinkelte Weise miteinander verbunden sind. Thematisch stehen Familie, Schuld psychische Krankheiten und die beunruhigende Frage, wie gut man einen geliebten Menschen überhaupt wirklich kennen kann, im Mittelpunkt. Camilla Ways schreibt flüssig, angenehm und sehr einfach, wodurch sich das Buch schnell lesen lässt. Die Geschichte ist zwar „abgedreht“, aber niemals unglaubwürdig oder zu konstruiert, nur gegen Ende wurden es mir zu viele detaillierte Erklärungen – diesen Teil hätte man raffen und den LeserInnen doch mehr eigene Schlussfolgerungen zutrauen können. Die meisten Figuren sind meiner Meinung nach gut ausgearbeitet, interessant und authentisch – dass fast alle von ihnen unsympathisch sind und Geheimnisse haben, hat mich nicht gestört, sondern vielmehr fasziniert! Die Protagonistinnen sind allerdings nicht gleich gut gelungen: Während Beth eine starke und liebevoll ausgearbeitete Persönlichkeit ist, würde ich Clara als „nett“, aber gleichzeitig leider auch etwas blass und austauschbar beschreiben. Die fast durchgehende psychologische Spannung, die die Autorin dieses Pageturners von Anfang an kreiert, gehört zu den größten Stärken des Buches! Erst gegen Ende lässt die Spannung etwas nach. Richtig begeistert haben mich außerdem die unheimlichen, intensiven Gänsehaut-Momente, die einen immer wieder erschaudern lassen. Das Einzige, was mir beim Lesen gefehlt hat, war an manchen Stellen (besonders auch was den Schreibstil betrifft) Tiefe. Leider fürchte ich auch, dass mir die Geschichte (abgesehen von ein paar intensiven Momenten) nicht allzu lange in Erinnerung bleiben wird. Die Lektüre fühlte sich teilweise ein bisschen an wie literarisches „Fast Food“, das man zwar schnell konsumieren kann, das danach aber leider kein vollkommen befriedigtes Gefühl im Bauch hinterlässt. EinsteigerInnen in das Genre und Menschen, die auf der Suche nach einem leicht zu lesenden, kurzweiligen Thriller sind, können mit diesem Buch aber sicher (wie ich) einige schöne Stunden verbringen!

Bewertung

Idee: 5 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistinnen: 3,5 Sterne
Nebenfiguren: 4 Sterne
Spannung: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +/-

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

 Dieses Buch bekommt von mir insgesamt vier Lilien!