Rezension

Spannendes Gedankenspiel ​

Terror - Ferdinand von Schirach

Terror
von Ferdinand von Schirach

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt
Ein Kampfpilot hat ein Passagierflugzeug abgeschossen, um es davon abzuhalten, in ein vollbesetztes Fußballstadion zu fliegen. Er hat 164 Menschenleben auf dem Gewissen, aber höchstwahrscheinlich zehntausende gerettet.
Nun steht er vor Gericht und den Leser*innen bzw. Zuschauer*innen wird die Frage gestellt: Ist Lars Koch ein Held - oder ein Massenmörder?

Meinung
Dieses dünne Büchlein - mein erstes von Schirach - hat mich so fasziniert, dass ich es innerhalb von etwa zwei Stunden durchgelesen und die darin enthaltene Frage mit allen Familienmitgliedern, die das Pech hatten, anwesend zu sein, hitzig diskutiert habe.
Der Aufbau als Theaterstück, bei dem das Publikum letztendlich über die Schuld des Angeklagten entscheidet, ist sehr gelungen, denn so ist man beim Lesen bzw. Zuschauen automatisch gezwungen sich Gedanken über die Argumente von Anklage und Verteidigung zu machen und sein eigenes Urteil zu treffen.
Dieser Prozess ist ungemütlich, aber genau deshalb so faszinierend, denn die Frage, die im Raum steht, ist keine leicht zu beantwortende. Kann man Menschenleben gegen andere aufwiegen, wenn Menschen doch alle dieselbe unantastbare Würde besitzen? Und wenn nicht, hätte Lars Koch dann tatsächlich 70.000 Menschen in einem Fußballstadion sterben lassen sollen, während die 164 Passagier*innen des Flugzeugs ohnehin gestorben wären? Ersteres erscheint uns vermutlich nicht richtig, letztes vermutlich aber auch nicht, und als Richter*innen und Schöffen ist man beim Lesen bzw. Zuschauen in einer unangenehmen, aber rechtsphilosophisch spannenden Zwickmühle.
Dadurch, dass in dem fiktiven Prozess um Lars Koch sowohl der Verteidiger als auch die Staatsanwältin ihre Argumente vortragen, bekommt man auf kreative und gelungene Weise Pro- und Contra-Argumente dargelegt. Am Ende hat man beim Lesen die Möglichkeit, beide Varianten (Schuld- und Freispruch) zu lesen, während bei einer Theaterinszenierung das Votum des Publikums entscheiden würde.
Ebenfalls in dem Büchlein enthalten ist eine thematisch verwandte Rede Schirachs anlässlich eines Preises, der der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo nach dem Terroranschlag auf deren Redaktion verliehen wurde. Schirach plädiert dafür, demokratische Grundwerte und Freiheiten nicht angesichts des Terrors aufzugeben, da diese genau das seien, was Terroristen anzugreifen versuchen. In gewisser Weise befasst sich auch diese Rede also mit der Frage, inwiefern man die Rechte einiger Menschen einschränken darf.

Fazit
„Terror“ stellt eine komplexe und durchaus nicht leicht zu beantwortende Frage und zwingt die Leser*innen bzw. Zuschauer*innen geschickt zur Auseinandersetzung mit der Thematik.