Rezension

Spannungsreicher Thriller mit berührendem Tiefgang

Nacht im Central Park - Guillaume Musso

Nacht im Central Park
von Guillaume Musso

Dieses neue Buch von Guillaume Musso ist zweifellos der beste Roman, den ich bisher in diesem Jahr gelesen habe. Er ist sehr vielschichtig und lässt sich in kein spezielles Genre packen. Auf den ersten Blick ist er ein spannungsgeladener Thriller, der dem Leser bis zum Ende keine Atempause lässt, aber unter der Oberfläche findet sich eine sehr tiefgründige und lebenskluge Erzählung über Liebe, Verlust und Schmerz, die sehr berührt. Wie auch in seinen vorangegangenen Romanen kombiniert Musso hier sehr geschickt Thriller und Liebesgeschichte, die fern von Kitsch und Rührseligkeit ist.  

Lautes Buch mit leisen Tönen

Nacht im Central Park ist für mich der bisher gelungenste Roman von Musso, dessen völlig überraschende Auflösung am Ende mir sehr nahe gegangen ist. Mussos besondere Art, emotionale Abgründe der Menschen zu erfassen und sie dem Leser so intensiv nahezubringen, ist eine ganz seltene Kunst, die nur wenige Schriftsteller beherrschen. Nacht im Central Park ist ein lautes Buch mit leisen Tönen, die unter die Haut gehen. Ich empfehle es euch wirklich sehr.

Aneinandergefesselt

Als Alice Schäfer, Kriminalpolizistin in Paris, morgens aufwacht, traut sie ihren Augen nicht. Sie findet sich auf einer Parkbank in einer ihr völlig unbekannten Umgebung wieder - in Handschellen gefesselt an einen fremden Mann, den amerikanischen Jazzpianisten Gabriel Keyne. Am Vorabend hatte Alice noch mit ihren Freundinnen auf den Champs-Élysées gefeiert, Gabriel hatte einen Gig in einem Jazzclub in Dublin. Als ihnen klar wird, dass sie im Central Park in New York sind, können sie es nicht fassen und realisieren schockiert ihre bizarre Situation: Alices Bluse ist blutverschmiert, sie trägt eine fremde Waffe, aus der eine Kugel fehlt und auf ihrer Hand steht eine mysteriöse Zahlenkombination. An Gabriels Unterarm haftet ein blutverschmierter dicker Verband, unter dem eine Zahlenfolge zum Vorschein kommt, die ihm jemand eingeritzt hat.

Mysteriöse Hetzjagd durch New York

Alice und Gabriel ist klar, dass sie nur gemeinsam herausfinden können, was passiert ist. Doch wie soll das gehen - ohne Ausweis, ohne Handy, ohne Geld und ohne Auto? Entgegen Alices Überzeugung als Polizistin knacken sie ein Auto und stehlen ein Handy. Doch Alices und Gabriels Suche nach den Drahtziehern, die sie nach New York brachten, scheint ins Nichts zu führen. Alices Misstrauen gegenüber Gabriel, den sie nicht einschätzen kann, wächst stetig, zumal er sich beharrlich weigert, Klavier zu spielen. Und so ermittelt Alice parallel - ohne Gabriels Wissen - mit Hilfe ihres französischen Kollegen Seymour Lombart. Entsetzt muss Alice erkennen, dass alle Spuren offenbar zu einem Serienkiller führen, der schon einmal ihren Weg kreuzte. Es beginnt eine rasante Hetzjagd durch New York, die immer mysteriöser wird und in deren Verlauf sich Alice entscheiden muss, ob sie Gabriel vertrauen kann und will. Als ihre Situation immer lebensbedrohlicher wird, scheint es für Alice nur einen Ausweg zu geben...

Alice Schäfer und Gabriel Keyne: Undurchsichtige Protagonisten

Mussos Protagonisten sind in der Tat ungewöhnlich. Alice Schäfer ist keine Sympathieträgerin: Mit ihrer barschen, bestimmenden und aufbrausenden Art wirkt sie eher abstoßend und enervierend. Gabriel Keyne scheint der ruhende Gegenpol zu sein - er wirkt beschwichtigend und strahlt Sicherheit aus. Doch immer wenn der Leser denkt, sich ein Bild über die beiden Hauptfiguren gemacht zu haben, legt Musso grundverschiedene Facetten der Charaktere offen, die sie in einem völlig anderen Licht zeigen und hält dem Leser damit indirekt den Spiegel der übereilten Meinungsbildung vor. So zeigt er uns zum Beispiel Alices sehr emotionale Seite und Gabriels immense Angespanntheit und unterschwellige Ungeduld. Beide bleiben undurchsichtig, bis sich am Ende der Nebel der Ungewissheit lichtet und uns zwei Menschen offenbart, deren schicksalhafte Begegnung ihr Leben für immer verändern wird. Hierin liegt für mich auch Mussos großer Erfolg als Schriftsteller begründet: Er skizziert seine Charaktere nicht nach Schema F, sondern zeigt sie in all ihrer menschlichen Tiefe und mit all ihren Widersprüchlichkeiten. Mussos Lebenseinsichten sind weise, aber nie unangenehm belehrend, sie sind entmutigend, aber immer verbunden mit einer unerschütterlichen Hoffnung und der Erkenntnis, dass es nichts Besseres gibt als das Leben.