Rezension

Spurensuche einer Kanadierin

The Last Time I Saw Jane - Kate Pullinger

The Last Time I Saw Jane
von Kate Pullinger

Bewertet mit 3.5 Sternen

Audrey sieht sich als eine Frau ohne Vergangenheit. Sie hat ihr Geschichtsstudium an der Universität von Victoria, British Columbia abgebrochen, um in London als Journalistin zu arbeiten. British Columbia ist für viele Engländer so fern, dass sie Audrey für eine Lateinamerikanerin halten. In Rückblenden entfaltet sich Audreys Kindheit, ihre deprimierende Dreiecksbeziehung zu  ihrer Freundin Jane und ihrem gemeinsamen Lehrer James. Eingeschoben in die Handlung der Gegenwart sind die Lebensgeschichten des 1803 geborenen James Douglas, der später Gouverneur von Vancouver Island wurde, seiner ersten Frau Amelia, die indianischer Herkunft war,  und seiner zweiten britischen Frau Jessica. Audreys Hang zu komplizierten Dreiecksbeziehungen wiederholt sich in London in ihrem Verhältnis zu ihrer indischen Freundin Shereen und dem Schwarzamerikaner Jack, der mit beiden Frauen ein Verhältnis hat. Audrey wird auf einer weiteren Handlungsebene von ihrer Vergangenheit eingeholt. Im Auftrag von Donna, einer älteren kanadischen Autorin, forscht Audrey in Londoner Bibliotheken und Archiven über ihren eigenen Ahnen James Douglas. Die junge Journalistin muss sich mit Douglas Person in seiner offiziellen Funktion als Vertreter der englischen Krone gegenüber der einheimischen kanadischen Bevölkerung auseinandersetzen und mit der feigen Verleugnung seiner Ehe mit einer Mischlingsfrau. Die Herablassung der Weißen gegenüber ihren einheimischen Frauen zeigt Pullmann in all ihrer moralischen Widersprüchlichkeit. Es wird Zeit für Audrey, sich mit dem speziellen "kanadischen" Anteil ihrer Familiengeschichte  zu beschäftigen und kritisch nachzufragen, welche Interessen Donna eigentlich vertritt.

Kate Pullinger verknüpft sehr geschickt auf drei Zeitebenen (Audreys Kindheit, die Gegenwart in London, die Zeit der Besiedlung Vancouver Islands um 1840)  die Schicksale fiktiver und historischer Figuren. Sie vermittelt ihren Leserinnen einen anteilnehmenden Blick in Audreys Gefühlswelt und eine kritische Sicht auf den Umgang der weißen Siedler mit den kanadischen First Nations.