Rezension

Stimmungsvoller Kriminalroman vor zeitgeschichtlicher Kulisse

Kommissar Gennat und der grüne Skorpion -

Kommissar Gennat und der grüne Skorpion
von Regina Stürickow

Bewertet mit 5 Sternen

Großartige Hauptfigur, viel Authentizität, ein buntes Kaleidoskop der Bevölkerung Berlins in den gar nicht so goldenen Zwanzigern - kurzum: ein herausragender Kriminalroman!

Schon immer begeistert von guten Kriminalromanen, bevorzugt der klassischen a la Agatha Christie, Dorothy Sayers und P.D.James und den historischen, von denen viele ihrerseits längst zu Klassikern geworden sind, weniger zugeneigt der beliebigen Dutzendware der sogenannten Regionalkrimis, oder der noch weniger anspruchsvollen Cozy Crimes, die den Markt seit einigen Jahren überfluten und die sich das kaum mehr erträgliche 'Lokalkolorit', respektive 'typisch englich-betulich' auf die Fahne geschrieben haben, ist mir der titelgebende Protagonist des hier zu besprechenden Krimis 'Kommissar Gennat und der grüne Skorpion' erst vor wenigen Jahren begegnet. Und dies nicht etwa durch Volker Kutschers Romane um den fiktiven Gereon Rath, sondern aufgrund der 1998 erschienenen, sehr lesenswerten Biographie 'Der Kommissar vom Alexanderplatz' aus der Feder der Historikerin Dr. Regina Stürickow, die auch für den 'grünen Skorpion' verantwortlich zeichnet, den bisher vierten Kriminalroman um den vor allem in der Weimarer Republik weit über die Grenzen Berlins bekannten Kriminalrat Ernst Gennat, dem Gründer der 'Inspektion M', der ersten ständigen Mordkommission der Welt und der zentralen 'Todesermittlungskartei', dem Vorläufer einer polizeilichen Datenbank. Und Regina Stürickow ist es durch ihre Biographie auch gelungen, den längst – unverständlich und völlig zu Unrecht! - in Vergessenheit geratenen schwergewichtigen Polizeibeamten, den man ob seines phänomenalen Gedächtnisses und seines großen psychologischen Einfühlungsvermögens heutzutage wohl als 'Profiler' bezeichnen würde, wieder präsent zu machen. Verdient hat er es gewiss, der für damalige Zeiten höchst ungewöhnliche Gennat mit seiner besonderen Gabe, inhaftierte Mörder und andere Verbrecher zum Reden zu bringen, der als Pionier der modernen Kriminalistik den Weg bahnte! In seiner Hoch-Zeit, die, wie oben erwähnt, die Weimarer Republik, also die wilden Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts waren, wurde der charismatische, durchaus auch humorvolle Mann mit der Vorliebe zu vor allem süßen kulinarischen Genüssen auch dank seiner hohen Aufklärungsquote von 95% gefeiert und von seinen Kollegen von überallher in schwierigen Fällen konsultiert – und sogar im späteren, zum Zeitpunkt der Handlung des Romans bereits heraufdämmernden, Dritten Reich behielt er bis zu seinem Tod kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs seine Stellung bei der Berliner Polizei. Und dies, obgleich er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten und keineswegs mit den Nazis sympathisierte. Er schien einfach unverzichtbar zu sein!

Also ist es nur recht und billig, dass er von seiner Biographin Stürickow ein spätes Denkmal gesetzt bekommt in eben der Krimireihe, deren besagter 4. Band Gegenstand meiner Betrachtungen ist. Ja, wir haben hier einen Roman vor uns, doch entfaltet sich dessen Handlung, auf die ich hier nur soweit es mir notwendig erscheint eingehen werde, in einem ganz und gar nicht fiktiven, sondern in einem historischen, respektive zeitgeschichtlichen Rahmen. Fiktiv, so schreibt die Autorin in ihrem Nachwort, sei lediglich der recht verzwickte Fall, in den Ernst Gennat gemeinsam mit seinem Freund, dem jungen Polizeireporter Max Kaminski, und dem so sympathischen wie fähigen Kriminalisten-Kollegen Rudolf Lissigkeit im Sommer des Jahres 1926 Licht zu bringen versucht. Sonstige von Gennat bearbeitete Verbrechen, die in dem Roman Erwähnung finden, entsprächen der Realität.

Wahrheit und Fiktion so miteinander agieren zu lassen, dass das eine das andere geradezu perfekt ergänzt, dass man beides schließlich nicht mehr voneinander unterscheiden kann, weil die Atmosphäre, die über allem schwebt und die Geschehnisse zusammenhält, so authentisch wirkt, spiegelt sie doch, soweit ich das zu beurteilen vermag, jene, vermeintlich goldenen, Zwanziger wider, während derer das Verbrechen in der Metropole Berlin Hochkonjunktur und die Polizei alle Hände voll zu tun hatte! Golden übrigens waren diese wilden Jahre nur, wie das halt immer so ist und in der Historie war, für diejenigen, denen es wirtschaftlich einigermaßen oder so richtig gut ging. Die breite Masse musste sich nach der Decke strecken, lebte vielfach im Elend, und wenn sie nicht das Glück hatte Arbeit zu finden – die Weltwirtschaftskrise mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit warf bereits ihre langen Schatten -, fiel es schwer, anständig zu bleiben.

Dem trägt die Autorin Rechnung, denn ihr Roman spielt keineswegs nur unter den Berlinern, die auf der Sonnenseite lebten, sondern spiegelt vielmehr die damalige Realität. Auf diese Weise entsteht ein grandios gemaltes Kaleidoskop der Bevölkerung der Großstadt Berlin, das auch den hässlichen Blick in menschliche Abgründe ermöglicht – und darüberhinaus einen Eindruck vermittelt von der Arbeit der Polizei, die für die Leser des 21. Jahrhunderts reichlich antiquiert anmutet und in der der so unkonventionelle wie demokratische Kommissar Gennat mit seinen Visionen fast wie ein Fremdkörper wirkt, wie aus der Zeit gefallen, aber nicht etwa zurück, sondern nach vorne, aus der Zukunft. Nicht nur bei seinen Ermittlungen im Fall der verschwundenen Frauenleiche in Hohenschönhausen darf ihm der Leser über die Schulter blicken, sondern er lernt ihn, den passionierten Junggesellen, auch privat kennen und im Umgang mit seinen Kollegen, in dem er mich durch seine zwar eigenwillige, aber angenehm freundlich-menschliche Art beeindruckt. Auf die starren Hierarchien innerhalb des Polizeiapparates pfeifend, bleibt er immer er selbst, biedert sich nirgendwo an und ist fern von jeglichem Opportunismus, durch den sich gewisse Kollegen auszeichnen, von denen besonders einer im nicht allzu fernen Dritten Reich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, die der zivilisierte Gennat freilich unterschätzt, eine sehr zweifelhafte Karriere machen würde.

Dass Ermittlungen in Kriminalfällen zu Gennats Zeiten langsam und recht schwerfällig waren ohne all die Möglichkeiten, die heutige Polizisten zur Verfügung haben, ist klar – ein Grund, warum die Aufklärung des Falles, von dem zunächst nur Gennat und seine Getreuen glauben, dass es einer sei, so mühsam war, für mich aber immer spannend blieb und zu keinem Zeitpunkt langweilig wurde. Von den Puzzleteilchen, die ganz allmählich in das Gesamtbild eingefügt werden, erzählt jedes eine kleine Geschichte für sich – und ganz gewiss keine schöne, wie man feststellen wird, wenn man sich auf das Buch einlässt! Die vollständige Auflösung schließlich war logisch und ja, irgendwie auch vorhersehbar, nicht die ganze Zeit, doch – und das darf auch sein, ohne dass es der Geschichte Abbruch täte - am Ende, nachdem man schon erkennen konnte, was das Puzzle darstellen sollte. Bis dahin aber war es ein langer Weg und man tappte ebenso im Dunkeln wie der Kommissar, was dem Roman aber einen glaubwürdigen, einen realistischen Anstrich gab, der, wie ich finde, jeden guten Roman kennzeichnen muss. Und ein solcher ist 'Kommissar Gennat und der grüne Skorpion' ganz entschieden! Und genauso entschieden ist er keine Massenware und daher ein Genuss für diejenigen unter den Lesern, für die sich ein Kriminalroman nicht in vordergründiger Spannung ohne jegliche Tiefe, dafür mit viel Action angereichert erschöpft!