Rezension

Thematisch vielfältig, besonnen formuliert und sicher im Urteil

Feminismus – Die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt -

Feminismus – Die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt
von Agnes Imhof

Bewertet mit 5 Sternen

Agnes Imhof schlägt einen Bogen von frühen Feministinnen (Olympe de Gouges, Louise Otto Peters, Hedwig Dohm), über die „zweite Welle“ (Simone de Beauvoir, Alice Schwarzer, Fatima Mernissi) bis zu populären Aktivistinnen unseres Jahrhunderts (Chimamanda Ngozi Adichie, Rebecca Solnit). Sie charakterisiert ausgewählte einflussreiche Aktivistinnen vor dem Hintergrund ihrer Epoche, knüpft Verbindungen zwischen Frauenfrage und jeweiliger Kultur (Islam, Lateinamerika, Indien und Afrika) und schlussfolgert unverblümt, dass es beim Kampf um Frauenrechte stets um die Verteilung von Macht, Geld und Nahrung geht. Als aktuelle Herausforderungen nennt sie u. a. Rape Culture, den Backlash in der Verteilung von Care-Arbeit seit der Corona-Pandemie, Mansploiting (Aneigung wissenschaftlicher Arbeit von Frauen in akademischen Hierarchien durch Vorgesetzte und Team-Mitglieder), sowie Positionen zur Reproduktionsmedizin. Als Gegenspieler einer Gleichstellung sieht Imhof bis heute patriarchale Strukturen, Einfluss von Religionen (hier explizit Bibel und Koran), Stammesdenken, sowie den aktuell wahrzunehmenden Backlash, wenn u. a. in der „Manosphäre“ Frauen und ihre Körper wieder als männlicher Besitz beansprucht werden.

Aktivistinnen wie Minna Cauer (1841-1922), Anita Augsburg oder Hedwig Dohm sind zwar keine Unbekannten; die Auswahl weniger charakteristischer Figuren hat mich hier jedoch angeregt, sie aus heutiger Sicht neu zu betrachten. Imhofs Darstellung von Kämpferinnen für Frauenrechte im 20. Jahrhundert, z. B. Simone de Beauvoir oder Kate Millett (1934-2017, Sexus und Herrschaft dt. 1971) gelangt zwangsläufig zum Schluss, dass Frauenrechte nicht von Menschen- und Bürgerrechten zu trennen sind; die Karte von Unterdrückung durch ein Patriarchat würde stets Diskriminierung wegen Kaste, Klasse oder Religion stechen. Die Nennung von Fatima Mernissi (1940-2015) konnte mich besonders ansprechen, die Imhof als wichtigste Intellektuelle der arabisch-sprachigen Welt und bedeutende Feministin einordnet. Angesichts des fundamentalistischen Backlashs seit den 80ern, in dem Männer Frauen Freiheiten zuteilen oder entziehen, halte ich Mernissi immer noch für eine wichtige Stimme. Das Kapitel „Die dritte Welle“ vereint laute Stimmen (MeToo-Bewegung) mit charmanter vorgetragenen Forderungen durch Adichie, die sich damit jedoch laut Imhof wieder einem Klischee unterwirft.

Agnes Imhof zeigt schlüssig die Verknüpfung von Fundamentalismus, Patriarchat und der Rückabwicklung von Frauenrechten und Frauenbildung auf, kritisiert „weißen Feminismus“ aus dem akademischen Elfenbeinturm und vergisst nicht, Widersprüche des Philanthro-Kapitalismus aufzuzeigen (Verknüpfung von Stiftungen, reichen Spendern und Großkonzernen), der zu großen Teilen zu Lasten von Frauen geht. Auch männlicher Einfluss auf z. B. Geschichtswissenschaft und Archäologie ist ein Thema, das sich zu vertiefen lohnt. Lesenswert finde ich unbedingt Imhofs kompakte Darstellung der Verschleierungs-Frage, da das Thema Kulturen mehrerer Kontinente betrifft und sie beispielhaft mahnt, stets zu fragen, wer will was und warum durchsetzen?

Fazit
Imhof schreibt in den historisch-biografischen wie den aktuellen Kapiteln besonnen, ironisch und urteilssicher, ob es um Matriarchat, Ökofeminismus, kulturspezifische Ansätze oder Reproduktionsmedizin geht. Neben der thematischen Vielfalt hat mich das Buch auch sprachlich positiv überrascht.