Rezension

Tragisch-komischer Roman mit einer ungewöhnlichen Protagonistin

Das Haus der Hildy Good
von Ann Leary

Ein Drink zu viel

Die Romane von Ann Leary haben ihren ganz eigenen Charme. Sie sprühen vor Ironie, sind witzig und sehr unterhaltsam, obwohl sie oftmals tragisch-dramatische Züge tragen. Gleiches gilt auch für ihr Buch Das Haus der Hildy Good, das gerade erschienen ist und mich wirklich begeistert hat. Dies liegt nicht nur an der ausgefallenen Story, die in der kleinen, idyllischen Küstenstadt Wendover (Massachusetts) spielt, sondern vor allem an der ungewöhnlichen Protagonistin Hilda, genannt Hildy, Good, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. Die 60-jährige (Anti-)Heldin ist d i e Top-Immobilienmaklerin der Stadt und ein renommiertes Mitglied der kleinen Community. Sie ist eine Nachfahrin von Sarah Good, die in den bizarren Salem-Prozessen als Hexe verurteilt und hingerichtet wurde. Wendovers Einwohner sind überzeugt, dass auch Hildy übersinnliche Fähigkeiten besitzt, doch sie hält dies für Unfug. Hildy hat einfach ein untrügliches Gespür für Menschen – und Häuser. Sie kann nach Besichtigung eines Hauses meistens genau sagen, wie der Mensch gestrickt ist, der es bewohnt und liegt fast immer richtig.

Erfolgreiche Immobilienmaklerin mit dunklem Geheimnis

Doch Hildy hat ein Problem, das sie selbst nach einem Unfall, den sie verursachte, nicht als solches erkennt. Sie trinkt in mehr als ungesundem Maße, so dass sich ihre Töchter Tess und Emily gezwungen sahen, sie zwecks Entziehungskur einweisen zu lassen. Nun ist Hildy zurück – von ihrer Alkoholsucht geheilt, wie alle hoffen -, doch sie denkt gar nicht daran, sich ihr Leben vorschreiben zu lassen. Die Sorgen ihrer Töchter, die sie für maßlos übertrieben hält, prallen an ihr ab. Um den Schein zu wahren, macht sie gute Miene zum bösen Spiel: Auf allen Parties und offiziellen Anlässen trinkt sie stets nur Wasser, daheim in ihrem Keller jedoch genießt sie ein paar Gläschen (oder besser Flaschen) Wein, geht nackt im Mondschein baden und fühlt sich lebendig und frei. Dass ihre Blackouts sich häufen und sie sich immer öfter an nichts mehr erinnern kann, beunruhigt sie nicht.

Auch wenn sie es sich nicht eingestehen kann, sieht es hinter ihrer Fassade der erfolgreichen Maklerin ganz anders aus. Ihre Geschäfte laufen seit der Konkurrenz von Sotheby’s nicht mehr so gut wie zu ihren Glanztagen: Sie muss sich jede Immobilie hart erkämpfen, obwohl sie zu den Top Playern zählt. Nach der Trennung von ihrem Mann Scott lebt sie allein in ihrem Haus und kämpft gegen die erdrückende Einsamkeit und die Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis, den tragischen Tod ihrer Mutter, die sie immer wieder heimsuchen. Da hilft auch die Zuneigung und Freundschaft ihres ehemaligen Lovers, Frank Getchell, nicht, der Hildy immer noch liebt. Er weiß, wie es wirklich um sie steht und tut alles, um sie zu beschützen.

Eine neue Freundin?

Als Rebecca, die Frau eines schwerreichen Hedgefonds-Begründers, mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ein wunderschönes Anwesen in Wendover bezieht, ist Hildy positiv überrascht, denn Rebecca unterscheidet sich wohltuend von den geschwätzigen Community-Mitgliedern. Sie ist ernst, verschlossen und zurückhaltend und hat so gar nichts gemein mit den überkandidelten Ladys, die Hildy kennt. Die beiden haben sofort einen Draht zueinander, und es dauert nicht lange, bis sie sich regelmäßig in Hildys Haus treffen, Wein zusammen trinken und sich austauschen. Hildy fühlt sich wohl in Rebeccas Gesellschaft und hat nach langer Zeit wieder einmal das Gefühl, eine Freundin gefunden zu haben.

Fataler Blackout

Doch auch Hildys neue Bekannte hat ihre Geheimnisse. Mit wachsendem Unbehagen nimmt Hildy Notiz von Rebeccas übersteigerter Zuneigung zu ihrem – verheirateten – Psychiater, Peter Newbold, den Hildy schon sehr lange kennt und schätzt. Aber Hildy hält sich zurück, will sich nicht einmischen und widmet sich wieder ihrem scheinbar einzigen verlässlichen Freund, dem Alkohol. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Jake, der behinderte Junge der Dwights, verschwindet genau in der Nacht spurlos, als Hildy sich trotz mehrerer Drinks mal wieder hinters Steuer setzt. Als sie morgens zu sich kommt, ist ihr Auto verbeult und blutverschmiert. Sie erkennt – vielleicht zum ersten Mal – wie es um sie steht und kämpft mit aller Macht gegen die Abwärtsspirale, die nur sie allein durchbrechen kann…

Tragisch-komischer Roman mit einer ungewöhnlichen Protagonistin

Die dramatische Geschichte der Hildy Good erzählt Ann Leary aus der Ich-Perspektive ihrer außergewöhnlichen Protagonistin. Und Hildy ist überzeugend! Zunächst teilt man als Leser ihre Abwertung der Sorge ihrer Töchter, denn Tess und Emily sind nicht gerade als Sympathieträgerinnen angelegt. Doch schon bald stellt man fest, wie wenig verlässlich die unkonventionelle Antiheldin ist: Ihre für Alkoholiker typischen Diminuitive (ein oder zwei Gläschen), ihre Erinnerungslücken, ihre Widersprüche und ständigen Verharmlosungsversuche, wenn es um ihr Problem geht, das für sie keines ist, lassen den Leser ihre Sicht der Dinge hinterfragen. Er ist gezwungen, sich ein eigenes Bild zu machen, was sehr schwer fällt, denn so ganz wird man aus Hildy nicht schlau: Ihre Einsamkeit ist bedrückend, ihre Liebe zu Baby-Enkel Grady rührend, ihre Freundschaft zu Rebecca warmherzig, ihre Leidenschaft für Frank nach all den Jahren noch immer verzehrend, doch als ihre Alkoholexzesse, die zunächst so harmlos scheinen, eskalieren, überwiegen die Negativattribute.

Mit Das Haus der Hildy Good ist Ann Leary ist einzigartiger Roman gelungen, der nachdenklich stimmt, aber zugleich auch sehr komisch ist. Amüsiert betrachten wir die Kleinstadtbewohner aus Hildys Blickwinkel – insbesondere die gewöhnungsbedürftige Powerfrau Wendy ist oftmals ungewollt witzig. Auch Alt-Hippie Frank, Hildys Verflossener, der Reden nicht für wichtig hält und Geiz scheinbar erfunden hat, ist wunderbar kauzig. Doch Leary zieht ihre Figuren nie ins Lächerliche, sie zeichnet sie mit liebevoller Nachsicht. Die Figur der Rebecca ist allerdings sehr ambigue angelegt. Wie Hildy vertrauen wir ihr zunächst blind, nur um dann später entsetzt festzustellen, wie sie in Wirklichkeit ist. All diese Aspekte machen den Roman zu etwas ganz Besonderem, das in Erinnerung bleibt. Daher mein Fazit: Eine äußerst unterhaltsame Lektüre mit dramatischer Wendung – unbedingt lesenswert!

Kommentare

LySch kommentierte am 01. April 2017 um 15:08

Das Buch habe ich auch schon öfter in der Hand gehabt und finde es nach wie vor sehr interessant! :) Deswegen habe ich auch ganz neugierig deine Rezi gelesen, als sie auf der Startseite auftauchte ;) und muss sagen, dass mir der Schlussteil mit deiner eigenen Meinung sehr gut gefällt! :)
Aber am Anfang erzählst du für meinen Geschmack viel zu viel von der Story nach - das würde ich persönlich selber entdecken wollen!