Rezension

Über amerikanische Ideale

Stromschnellen - Bonnie Jo Campbell

Stromschnellen
von Bonnie Jo Campbell

~~Die amerikanische Autorin Bonnie Jo Campbell lebt in Michigan und hat für ihre Kurzgeschichten diverse Auszeichnungen erhalten. „Stromschnellen“ ist ihr erster Roman, im Original mit dem Titel „Once upon a river“ – „Es war einmal…“, aber ein Märchen, in dem am Ende alle Beteiligten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage leben, erzählt uns die Autorin keinesfalls.

 Ende der siebziger Jahre in der Wildnis im Norden Michigans. Die sechzehnjährige Margaret Louise, von allen nur „Margo“ genannt, lebt mit ihrem Vater und der Großfamilie Murray am Stark River. Es ist kein Paradies und die Welt ist nicht heil: der Fluss wird durch die Abwässer der Fabriken, die entlang des Ufers betrieben werden, mit Chemikalien vergiftet, die Männer der Familie Murray machen ihre eigenen Gesetze und nehmen sich das, was sie begehren, mit Gewalt – auch wenn es die eigene minderjährige Nichte ist. Margo rächt sich zwar an ihrem Vergewaltiger, aber dabei kommt auch ihr Vater ums Leben. Nun ist sie auf sich allein gestellt, denn ihre Mutter hat schon vor langer Zeit das Weite gesucht. Das Mädchen flieht auf ihrem Boot sowohl vor den Gesetzeshütern als auch vor ihrer eigenen Familie, bewaffnet mit einem Gewehr.

 Die Sechzehnjährige ist eine interessante Hauptfigur. Sie trifft ihre eigenen Entscheidungen und trägt die Konsequenzen, ganz egal, ob gut oder schlecht. Und dieses Recht verteidigt sie auch bis aufs Blut, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Outlaw. Sie lebt nach ihren elementaren Bedürfnissen, ihr Verhalten ist meist instinktiv und nur dann, wenn sie unbedingt Hilfe benötigt, sucht sie die Nähe von Menschen. Sie redet wenig, ist fast schon ein „Wolfskind“, und ihr großes Vorbild ist Annie Oakley, deren Schießkünsten sie nacheifert, denn neben ihrem Boot und ihrem Gewehr ist das Buch über die weibliche Westernlegende ihr größter Schatz. Im Umgang mit den Menschen, denen sie auf ihrer Reise begegnet, ist sie zwar recht naiv, aber darauf kommt es ja auch nicht an, denn die Fähigkeiten, die sie zum Überleben auf dem Fluss und in den Wäldern braucht, beherrscht sie.

 Bonnie Jo Campbell hat einen Roman geschrieben, der die typischen amerikanischen Ideale hochhält, die wir bereits in Henry David Thoreaus „Walden“ finden. Leben im Einklang mit der Natur, Unabhängigkeit und Freiheit, das sind Margos höchste Güter, und diese lässt sie sich von niemandem nehmen.

 Die Autorin erzählt die Geschichte ihrer Hauptfigur in leisen Tönen. Sie verzichtet auf Effekthascherei, und gerade deshalbwirken sowohl Margos Erlebnisse als auch ihre persönliche Entwicklung umso intensiver und beeindruckender auf den Leser.

 Ein großartiges Buch, dem ich viele Leser wünsche!