Rezension

Über das Miteinander der Generationen

Vielleicht der schönste Sommer -

Vielleicht der schönste Sommer
von Eleonore Holmgren

Bewertet mit 4 Sternen

REZENSION – Vor zwei Jahren wurde der Debütroman „Sista sommaren“ von Eleonore Holmgren in Schweden zum Bestseller. Jetzt erschien bei der dtv Verlagsgesellschaft die ins Deutsche übersetzte Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einer 86-Jährigen Witwe und einem 20-jährigen Kleinkriminellen unter dem Titel „Vielleicht der schönste Sommer“. Tatsächlich wird dieser Sommer auf der schwedischen Schären-Insel Lindö für beide aus unterschiedlichen Gründen zu einem Höhepunkt im Leben.

Der 20-jährige Adam wurde wegen seines Umgangs mit Kriminellen von seiner Mutter aus der Wohnung geworfen. Auch Freundin Sara und Kumpel Abbe wollen ihn, der ziellos und verantwortungslos durchs Leben stolpert, nicht aufnehmen. So streunt Adam über die Insel Lindö, steigt in kalter Frühlingsnacht in ein scheinbar leerstehendes Haus ein – und steht am nächsten Morgen unerwartet der Hauseigentümerin, der 86-jährigen Britta, gegenüber. Die wiederum hatte sich in den Kopf gesetzt, noch einmal einen Sommer in ihrem geliebten Landhaus verleben zu wollen, obwohl Tochter Susanne ihr dies nach dem letzten Sturz mit Knochenbruch ausdrücklich verboten hatte. Nach kurzem Kreuzverhör lässt Britta den jungen Mann bei sich wohnen. Allerdings muss er ordentlich anpacken, ihr im Haushalt helfen sowie Haus und Garten aufräumen: „Das war ein Gewinn, für sie beide. So hatte er Zeit, sich Gedanken zu machen, und konnte ihr bei einigen anstrengenden Sachen helfen, die im Haus erledigt werden mussten.“

Das Buch „Vielleicht der schönste Sommer“ ist nicht nur ein gut geschriebener Unterhaltungsroman, der dank seiner sommerlichen Atmosphäre uns Lesern in dunklen und kalten Wintermonaten „sonnige Lesemomente“ beschert, wie das Cover vorzugeben scheint. Hinter der herzerwärmenden Geschichte um die alte Britta und den jungen Adam verbirgt sich eigentlich eine tragische Erzählung um das heute oft schwierige Miteinander der Generationen.

Es geht einerseits um die Selbstverantwortung der Senioren und deren selbstständiges Leben, andererseits um die unbewusste, meist ungewollte Bevormundung durch deren berufstätige Kinder, die ihr schlechtes Gewissen durch übermäßige Absicherung des alleinlebenden Elternteils beruhigen wollen. So will Tochter Susanna eigentlich nichts Ungewöhnliches, sondern in der Stadtwohnung ihrer Mutter nur einen Notruf installieren und den Pflegedienst organisieren: „Aber Mama weigert sich, überwacht zu werden, wie sie sagt. Sie findet, dass ich mich einmische und sie wie ein Kind behandle. … Aber ich möchte mir einfach nicht länger Sorgen machen müssen. Nicht jedes Mal aufspringen müssen, wenn das Telefon läutet. Oder unruhig werden, wenn es nicht läutet.“ Auch als Adam nach einigen Tagen in Brittas Haus feststellt, dass die 86-Jährige sich nur von Fertigkost ernährt, und sie deshalb über die Bedeutung guten Essens für Senioren aufklärt, wird sie zornig: „Durfte man denn gar nichts mehr selbst bestimmen, wenn man alt wurde? Der eine meckerte wegen des Essens, die andere wollte bestimmen, wo sie wohnen sollte.“ Doch bald genießt sie gern Adams Kochkünste.

Das gut organisierte Zusammenleben der 86-Jährigen mit dem erst 20-Jährigen ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Britta profitiert von Adams handwerklichem Geschick und seiner jugendlichen Kraft, während sie dem jungen Mann durch Übertragung von Aufgaben und Pflichten den richtigen Weg ins Erwachsenenleben zeigt und ihm die Übernahme von Verantwortung beibringt: „Als wir uns kennenlernten, warst du egoistisch und respektlos. Du hast keine Verantwortung übernommen, sondern die Schuld lieber bei anderen gesucht. … Du bist deutlich reifer geworden, Adam.“

Holmgrens Debütroman ist nicht nur ein angenehmer Unterhaltungsroman für dunkle Winterabende, sondern kann zugleich als freundschaftlicher Ratgeber gelesen werden, der uns hilft, noch einmal über den verantwortungsvollen Umgang mit unseren alten Eltern nachzudenken. Eine Fortsetzung hat Eleonore Holmgren unter dem Titel „Brittas Arv“ (Brittas Erbe) in Schweden bereits im Juni 2022 veröffentlicht.