Rezension

Unaufgeregtes Herzklopfen

Und am Ende der Winter - Lily Pulcino

Und am Ende der Winter
von Lily Pulcino

Bewertet mit 5 Sternen

Richard West hat ein neues Leben angefangen. Nach einer gescheiterten Ehe hat er sich aus seinem Beruf zurückgezogen und verbringt die Zeit im Garten oder in der Hängematte. Als ihn ein Freund und ehemaliger Kollege um Hilfe bittet, kann er nicht nein sagen. Denn der Patient stirbt.

Wow! Bei diesem Roman weiß ich nicht, wie ich beginnen soll, weil er derart großartig und facettenreich ist. Allein ein Genre zu bestimmen fällt schwer. Einerseits ist es ein Roman über die Liebe, aber kein Liebesroman. Zwar spielen Emotionen und Gefühle eine wichtige Rolle, doch nicht im herkömmlichen Sinn. 

„Und am Ende der Winter“ ist unter anderem unter dem Label Gay Romance zu finden. Obwohl Homosexualität einen Part einnimmt, wird diese nicht auf die Art ausgelebt, wie es manche Leser aus anderen Romanen des Genres gewöhnt sind. Es geht um den Sinn des Lebens, um Akzeptanz, Selbst- sowie Nächstenliebe und Freundschaft ist ebenso essentiell.

Richard West war Psychologe bis er den Beruf an den Nagel gehängt hat. Eine gescheiterte Ehe ist seiner Meinung nach genug, und er genießt die Ruhe nach dem Sturm. Doch dann bittet sein Freund und ehemaliger Kollege Joey um Hilfe bei einem schwierigen Fall. Der Patient Jonathan O’Donnell hat beschlossen zu sterben. Der Berufssoldat isst nicht mehr. Damit steht das gesamte Kollegium vor einem kniffeligen und lebensbedrohlichen Fall. Richard kann sich dem nicht entziehen und nimmt den Patienten an.

Aus dieser Ausgangslage resultiert eine vielschichtige, tiefgreifende Geschichte, die mich gefangen hat. Obwohl es meistens nur um die Gespräche beziehungsweise Nicht-Gespräche zwischen Richard und Jonathan geht, schwingt in jeder Situation, jedem knappen Dialog und jeder Geste Authentizität und fesselnde Intensität mit.

Dabei gibt es keine großen Dramen, nur kleinere Handlungsspitzen, die aus der sanften Annäherung einen exzellent geschliffenen Roman machen. 

Außerdem spielt Lily Pulcino phänomenal mit den Umständen. Jonathan verweigert die Nahrungsaufnahme, weil er im Leben keinen Sinn mehr sieht. Hingegen stopft sich Richard mit Junkfood voll, weil ihm der Sinn seines Lebens entgangen ist.

Kleinere Nebenschauplätze sind glaubwürdig und authentisch eingebettet. Im Gesamtbild ergibt sich ein vortrefflich runder Roman, der dank seiner bedachten Art wahnsinnig packend zu lesen ist. 

Die Erzählung ist recht ruhig geschrieben. Die Handlung verläuft unaufgeregt, und trotzdem fing mein Herz zu klopfen an, und die unterschwellige Spannung war kaum auszuhalten. Ich habe die Geschichte von Jonathan und Richard förmlich eingesogen und mich in den nüchtern-ergreifenden Stil der Autorin verliebt.

Ich bin mir völlig sicher, dass es nicht mein letztes Buch von Lily Pulcino gewesen ist, und freue mich auf viele weitere Werke dieser Art.

Wer sich auf die ergreifende Geschichte über einen zurückgezogenen Psychologen, einen sterbenden Patienten und einen Fernseher einlassen will, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen, das ich nur empfehlen kann.