Rezension

Und immer Carla im Kopf

Das Zimmer der Signora - Hansjörg Schertenleib

Das Zimmer der Signora
von Hansjörg Schertenleib

Bewertet mit 3 Sternen

Während Stefano Mantovani in einem italienischen Kriegsveteranenheim seinen Militärdienst leistet trifft er seine Jugendliebe Carla. Nicht nur ihre eindeutigen Offerten stricken um ihn ein immer dichter werdendes Netz aus Lust und Schmerz. Auch eine geheimnisvolle Signora bestimmt bald auf irritierende Weise sein Leben: Stefano bewirbt sich auf ihre Anzeige als Vorleser erotischer Texte. Er wird abgeholt und mit verbundenen Augen in ein Zimmer am Gardasee geführt.

Stefanos Eltern, ein Italiener und eine Schweizerin, trennten sich; er blieb bei der Mutter, während der ältere Bruder mit dem Vater in die Nähe von Cremona zog. Nun hat der Vater sich erschossen, und Stefano reist nach Italien. Die Sprache beherrscht er, wenn auch nicht so gut wie das Deutsche. Nach der Einäscherung räumen die Brüder das Haus des Vaters aus, um es zu verkaufen.
Das erste Drittel des Buches verspricht eine nicht leichte, aber emotional berührende Lektüre. Stefano erinnert sich in kurzen Sequenzen an seinen Vater; vor seinem inneren Auge sieht er immer wieder, wie dieser das Gewehr an die Stirn hält. Allerdings sind die Erinnerungen an seine Jugendfreundin Carla, mit der er seine ersten sexuellen Erfahrungen machte, wesentlich intensiver. Er trifft sie wieder, und das alte Spiel beginnt von Neuem: Carla ordnet an, Stefano gehorcht.

Bis er von der Militärpolizei aufgegriffen wird; er gilt als fahnenflüchtig, weil er seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet hat. Man steckt ihn in ein Veteranenheim, wo er die nächsten Monate als Kranken- und Altenpfleger arbeiten muss. Dass Carla mit einem sehr eifersüchtigen Mann verheiratet ist, erfährt er schmerzlich am eigenen Leib.
Dieser zweite Teil, der Hauptteil, zieht sich hin. Es geht vor allem um den alltäglichen Trott im Veteranenheim, wie Stefano damit klar kommt, wie die Soldaten saufen, kiffen und pöbeln, wie die Alten reagieren und was ihren Tagesablauf bestimmt. Die merkwürdige Abhängigkeit von Carla und seinen Erinnerungen trägt Stefano durch die Zeit.
Die Handlung dümpelt vor sich hin, bis Stefano einen Job als Vorleser erotischer Texte bei einer Signora bekommt, die ihn vom Chauffeur abholen und mit verbundenen Augen zu ihrem Haus bringen lässt.
Erotik? Wenig. Es hängen im Vorlesezimmer zwar riesige Fotografien von weiblichen Geschlechtsteilen an der Wand, auch trägt die Signora, die zunächst einzige Zuhörerin, aufreizende Kleidung, und Stefano liest Texte vor, in denen es zur Sache geht, doch von knisternder Erotik spürt man wenig.
Es ist auch keinesfalls so, als wären das Vorlesen und die Stunden bei der Signora das Kernstück des Buches. Aber Sex sells, also wird er bei der Bewerbung und beim Klappentext in den Vordergrund gestellt.

Lebhafter und origineller zeigt sich der dritte Teil: Stefano reist im Auftrag der Signora nach London, um dem Fotografen der erotischen Bilder das letzte, das in ihrer Sammlung fehlt, abkaufen. Bisher hatte dieser sich geweigert, mit ihr ins Geschäft zu kommen. Doch Stefano hat eigene Pläne.

Die Erotik ist zwar durchgehend als Thema präsent; von einem erotischen Roman kann man jedoch nicht sprechen. Wenn sich sexuell etwas tut, wird der Vorgang zwar genau und detailliert beschrieben, man erfährt auch, wie Stefano in den jeweiligen Situationen reagiert(e), doch ebenso gut könnte er erzählen, wie er sich ein Käsebrot schmiert. Das prickelt ähnlich. Außerdem sollte man, um Freude an der dargestellten Erotik zu haben, anale Spielchen mögen. Die sind immer dabei.

Das Buch hält nicht, was es verspricht. Dennoch werde ich dem Autor noch eine Chance geben, denn seine Sprache, die auf eine distanzierte Weise Emotionalität ausdrückt, gefällt mir gut.