Rezension

Ungewöhliche Idee, Wikipedia als "Briefkasten" zu nutzen, sehr empfehlenswert

Der Krieg der Enzyklopädisten - Gavin Ford Kovite, Christopher Gerald Robinson

Der Krieg der Enzyklopädisten
von Gavin Ford Kovite Christopher Gerald Robinson

Bewertet mit 5 Sternen

Eine echte Nikolausüberraschung habe ich für Euch mit dem Buch von Gavin Ford Kovite und Christopher Gerald Robinson mit ihrem Erstlingswerk „Der Krieg der Enzyklopädisten“. Für mich war dieses Geschenk einer Freundin eine wahre Freude. Man merkt den Autoren an, dass sie sich Zeit genommen haben, um ihren Roman zu schreiben. Ganze fünf Jahre brauchten sie, schrieben abwechselnd die Kapitel, jeder hat sein Alter ego mit hinein verwoben. Freunde, Familie und Experten halfen mit, ein regelrechtes Kunstwerk zu schaffen.

Das Wort Krieg bekommt hier in mehrfacher Hinsicht eine Bedeutung. Zunächst einmal erleben wir einen der Freunde, Montauk, in Bagdad. Ein Soldat ist er, mittleren Ranges, muss Männer führen, Entscheidungen treffen, schwitzen, stinken, seine Wut beherrschen. Er ist der Alter ego von Kovite, der in Bagdad zwischen 2004 und 2005 eine Infanterie-Einheit geführt hat.

Der andere Freund ist Corderoy, ein angehender Universitätsprofessor für Literatur, dem allerdings das Geld fürs Studium ausgegangen ist und nun als Testobjekt von fragwürdigen medizinischen Studien zumindest die Miete zahlen will. Er ist im Krieg mit sich selbst, seiner Umwelt, den Frauen und seinem besten Freund Montauk.

Selbstverständlich gibt es sie auch, die Frauen. Da ist zunächst Mani, eine Künstlerin, die mit ihren Eltern dem Krieg in ihrem eigenen Land entflohen ist und sich treiben lässt. Zunächst die Freundin von Corderoy, wird sie zur Kriegsbraut von Montauk. Tricia ist die egozentrische Mitbewohnerin von Corderoy, die unbedingt etwas aus ihrem doch sehr verwöhnten Leben machen möchte und als Kriegsberichterstatterin nach Bagdad möchte. Natürlich trifft sie noch in der Heimat auf Montauk und diesen später wieder im Irak.

Alle vier Protagonisten sind in den Zwanzigern, also keine Teenies mehr und trotzdem noch nicht wirklich angekommen im Leben. Doch mit jedem Schritt, mit jeder Erfahrung reifen sie, zweifeln sie, wird ihnen bewusst: jede Entscheidung die sie treffen hat Konsequenzen. Und: man trifft sich meist mehrmals im Leben.

Warum aber nun dieser Titel? Die beiden Freunde feiern gerne Mottopartys und nennen sich die Enzyklopädisten. Und machen sich zunächst einen Spaß daraus einen Artikel in Wikipedia zu veröffentlichen, den sie beide immer wieder aktualisieren. Denn: prüft ja eh keiner nach, was da so steht. Mit der Zeit, als beide getrennte Wege gehen, dient dieser Artikel als toter Briefkasten. Hier tauschen sie ihre Gefühle und Gedanken aus, ohne Telefon, ohne E-Mail oder sonstige Kommunikationsmittel. Einfach nur genial diese Idee. Immer wieder kann sich die Leserschaft die überarbeiteten Seiten betrachten.

Dem einen Freund begleiten wir bei seinem ergebnislosen Weg aus dem Studium hin zum Versuchskaninchen und seinen Abenteuern mit der Frauenwelt, nebst nicht Anbaggerungsversuchen zu seiner Mitbewohnerin. Dem anderen bei seinem Soldatenleben, seinen Kameraden und den Menschen, die er dort kennenlernt. Dessen Frustration, die Wut, die er nicht ausleben darf, Hitze, Anschläge, Mordopfer, Autobomben; all das bekommen wir eiskalt serviert.

Die Liebe zum Detail, zu der künstlerischen Entwicklung von Mani, und Tricia, der nichts lieber ist, als der Wahrheit auf die Spur zu kommen, das nimmt man den Autoren ab. Der Roman wirkt selbst wie ein gelungenes Experiment mit seinen Wikipedia-Artikeln und seinen Verhör-Protokollen zu einem Mord in Bagdad. Danach ist man selbst wütend wie Montauk, der erkennen muss, dass er leider so absolut kein Verbrechen aufklären kann.

Viele Fehlentscheidungen gestehen das Autorenteam diesen vier jungen Menschen zu. Wie sie nun, in Zeiten von Fake News und Verschwörungstheorien, wohl agieren würden? Für mich war dieser Roman ein Gewinn; eine perfekte Sozialstudie über junge Menschen nach dem verheerenden Attentat in Amerika. Absolut Empfehlenswert. Erwähnen will ich auch die Übersetzer Gerhard Falkner und Nora Matocza, ebenfalls wie das Autorenteam ein Tandem, das bereits viele Werke gemeinsam übersetzt hat.