Rezension

Ungewöhnlicher Streifzug durch die Geschichte der Menschheit

Die Mücke - Timothy C. Winegard

Die Mücke
von Timothy C. Winegard

Bewertet mit 4 Sternen

»Plötzlich brach ein derart tödliches Fieber unter seinen Soldaten aus, dass innerhalb von sieben Tagen fast alle … unerwartet einen elenden Tod starben … und [Barbarossa] im August seine schwindende Armee abzog. Doch die tödliche Seuche folgte ihm und er musste mit jedem versuchten Schritt nach vorn unzählige Tote zurücklassen.«

Welches ist das gefährlichste Tier der Welt? Verantwortlich für die meisten menschlichen Todesopfer? Wenn man diese Frage stellt, werden viele eins der bekannten Raubtiere verdächtigen. Vielleicht Krokodil? Oder Hai? Mancher wird denken, dass er die Frage durchschaut und auf den Menschen als gefährlichstes Tier der Welt tippen. Schon besser, der Mensch sichert sich einen guten zweiten Platz, liegt aber weit abgeschlagen hinter der Nummer 1. Der Stechmücke.

 

Schon in der Einleitung überrascht mich der Autor mit passenden Zahlen. Demnach sollen der Mücke beispielsweise im Jahr 2018 830.000 Menschen zum Opfer gefallen sein. Ich denke an die paar Mückenstiche, mit denen ich gelegentlich morgens aufwache und frage mich, wie die Mücke das wohl angestellt hat.

 

Timothy C. Winegard ist Historiker mit dem Schwerpunkt Geschichte des Militärs und der indigenen Völker Nordamerikas. Er lehrt an der Colorado Mesa University. Der Tatsache, dass in der Literatur gewöhnlich der Fokus auf Herrscher und Eroberer gelegt wird, wenn es um entscheidende Kriegserfolge und historische Ereignisse geht, wollte er mit diesem Buch einen ergänzenden Aspekt an die Seite stellen. Er nennt es die »Unterstützung durch General Anopheles«.

 

Im Eingangszitat war wieder einmal ein Versuch gescheitert, Rom zu erobern. Beispiele dieser Art zählt der Autor reichlich auf. Da plant z.B. ein mexikanischer Befehlshaber die Mücke als Unterstützer im Kampf gegen die anrückenden amerikanischen Truppen ein. Der Leser verfolgt die Invasion der Perser in Griechenland oder den amerikanischen Bürgerkrieg und begegnet zahlreichen bekannten Namen und geschichtlichen Ereignissen. Ich fand das ziemlich faszinierend: Da werden Pläne gemacht und taktiert, riesige Heere werden aufgefahren – und dann geraten diese in ein Sumpfgebiet und besagte Pläne lösen sich in Heerscharen von Mücken auf. Aber die stechenden Insekten beeinflussten nicht nur den Ausgang von Feldzügen und Kriegen, sondern trugen auch zur Verbreitung des Christentums in Europa bei. Sklaverei, Expansionen, Völkerwanderungen, Ausbreitung von Handel und Landwirtschaft – immer mischte auch die Mücke mit. Die enorme Bedeutung der Malaria hatte ich bislang nicht auf dem Schirm. Hochinteressant!

 

Der Untertitel des Buchs spiegelt sich im chronologischen Aufbau wider. Der Autor wollte zeigen, wie die Geschichte von Mensch und Mücke miteinander verwoben ist. Das ist ihm, finde ich, gelungen. Was Seuchen vermögen, merken wir leider derzeit alle. Ich hoffe nur, dass diese Zeit keinen größeren Einzug in die Geschichtsbücher finden wird.

 

Sehr gefallen hat mir auch der Einstieg ins Buch. Da wird neben grundlegenden Infos über Mücken das Thema Verbreitung von Krankheiten durch stechende Insekten ausführlich erörtert und auch dargelegt, was der menschliche Organismus an Verteidigungsstrategien auffährt. Stichwort hier z.B.: Sichelzellenanämie.

 

Der Schwerpunkt Militärgeschichte wirkt sich natürlich auf die Schilderungen aus, man merkt dem Autor deutlich seine entsprechende Begeisterung und sein umfangreiches Wissen an. Ich fand den Erzählziel auch durchaus unterhaltsam, hätte aber nicht jede Schlacht in einem solchen Umfang benötigt. Letztlich wiederholten sich die Ereignisse, man ahnte schon, was kommen wird. Etwas umfangreicher hingegen hätte ich mir den Anhang gewünscht, da fehlte mir nämlich ein Stichwortverzeichnis. Apropos Anhang: Die nach Kapiteln unterteilten Anmerkungen sind nicht immer stimmig zugeordnet. Lassen sich anhand der Durchnummerierung natürlich finden, doch habe ich persönlich ein besseres Gefühl, wenn ich den Eindruck habe, dass dem Anhang viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

 

Fazit: Ungewöhnlicher Streifzug durch die Geschichte der Menschheit. Mücken sind mir jetzt nicht sympathischer, ich habe aber mehr Respekt vor ihnen.