Rezension

Unglaublich spannend und toll konstruiert!

Good as Gone - Amy Gentry

Good as Gone
von Amy Gentry

Inhalt

Julie ist dreizehn als sie entführt wird. Ihre jüngere Schwester Jane ist die einzige Augenzeugin. Im Wandschrank versteckt und vor Angst erstarrt beobachtet sie das Geschehen. Acht Jahre lebt die Familie in Ungewissheit, natürlich wissen sie, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Julie noch lebt. Immerhin sagen alle Kriminalstatistiken dass die Chancen, ein Entführungsopfer lebend wiederzufinden, bereits nach 24 Stunden drastisch sinken. Doch allen Statistiken zum Trotz steht acht Jahre später plötzlich eine Junge Frau vor der Tür: Julie! Ihre Eltern Anna und Tom können ihr Glück kaum fassen. Bis bei Anna die ersten Zweifel an der Identität der jungen Frau, die sich als ihre Tochter ausgibt, aufkommen. Julie lügt, geht nicht zu ihren Therapiesitzungen und sind ihre Gesichtszüge nicht doch irgendwie fremd?

Meine Meinung

Ich habe lange überlegt, ob ich dieses Buch lesen soll. Die vielen Rezensionen zahlreicher Leser, die nach dem Klappentext enttäuscht vom tatsächlichen Inhalt waren, haben mich zunächst davon abgehalten. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass ich mich dazu entschieden habe, es doch zu lesen. Denn es hat meine Erwartungen, besonders nachdem ich die vielen negativen Bewertungen gelesen habe, deutlich übertroffen.

Ich war von der ersten Seite an gefesselt. Man ist sehr schnell mitten im Geschehen. Als Julie bereits nach etwa zwanzig Seiten schon auftaucht, dachte ich sogar „Halt, das geht doch alles zu schnell!“. Aber dem war nicht so. Die Familie versucht sich langsam wieder aneinander zu gewöhnen, während vor allem die Eltern Tom und Anna natürlich gerne alles darüber wissen wollen, was ihrer Tochter zugestoßen ist und sich andererseits nicht trauen, danach zu fragen, um ihre gerade gerettete Tochter nicht direkt erneut zu traumatisieren und sich vielleicht auch selbst die schlimmsten Vorstellungen zu ersparen. Da kam bei mir sehr schnell der Verdacht auf, dass an Julies Geschichte etwas nicht stimmen kann. Sie erzählt etwas von Menschenhandel und einem mexikanischen Gangsterboss mit riesigem Anwesen und die Eltern nehmen das einfach so hin, weil sie lieber nicht weiter nachfragen wollen. Was ja auch aus psychologischer Sicht erstmal durchaus verständlich ist. Als dann irgendwann auffällt, dass Julie bei Kleinigkeiten gelogen hat und ihre teuren Therapiesitzungen ausfallen lässt, kommen bei Anna erste Bedenken auf. Bald darauf kontaktiert sie ein Privatdetektiv, der damals als Julie entführt wurde noch bei der Polizei arbeitete, und macht sie auf einen anderen Vermisstenfall und eine junge Frau in einem Youtube-Video aufmerksam, die der „Julie“, die vor kurzem wieder bei Anna und Tom auftauchte, ziemlich ähnlich sieht und schon beginnt die Auflösung…aber anders als ich dachte!
An diesem Punkt dachte ich wieder einmal, dass das alles viel zu schnell geht und meine Vermutung viel zu schnell bestätigt wurde, denn das alles geschieht in den ersten hundert Seiten.
Doch dann setzten immer mehr Perspektivwechsel zwischen bisher offenbar unbekannten Charakteren ein, die sich langsam, rückwärts erzählt, immer weiter zu einer meiner Meinung nach genialen Konstriktion zusammenweben. Dieser Erzählaufbau machte das Buch für mich zu etwas wirklich Besonderem!

Julies Charakter, oder der Person von der wir erst einmal annehmen, dass es Julie ist, ist sehr tiefgründig und wird auch aus psychologischer Sicht sehr gut beleuchtet. Die anderen Charaktere, vor allem Anna und Tom blieben mir persönlich etwas zu oberflächlich und vor allem Anna war mir durchweg unsympathisch. Das ist für mich normalerweise kein Grund zur Kritik, aber hier kam diese fehlende Sympathie für mich dadurch auf, dass sie für mich so teilnahmslos und irgendwie kalt wirkte angesichts der Entführung und des Wiederauftauchens ihrer Tochter und auch gegenüber ihrer anderen Tochter. Und das war sie eigentlich nicht, wie durch ihr Trinkverhalten nach der Entführung und ihrer Reaktion bei der Rückkehr ihrer Tochter veranschaulicht werden soll. Das kam für mich aber einfach nicht so rüber. Andererseits soll sie auch eher die etwas unterkühlte Karriere-Mutter darstellen. Tom hingegen ist der liebevolle Elternteil, der immer nur nett und verständnisvoll ist und offenbar für die familiäre Atmosphäre zuständig ist. Sein Charakter wird aber tatsächlich nur angekratzt…Hinter Janes Stirn konnte man kaum blicken. Nicht einmal, ob sie sich wirklich aufrichtig freut, dass ihre Schwester wieder da ist, oder ob auch sie eventuell Zweifel an ihrer Identität hegt wird hier besonders deutlich.

Der Schreibstil ist angenehm leicht und flüssig und dennoch sehr bildhaft und oft spielerisch, womit er das, worum es in dem Buch geht, an vielen Stellen gut unterstreicht: Die Identität und was sie ausmacht. Der Titel passt ebenso sehr gut zur Thematik. Mehr möchte ich dazu an dieser Stelle nicht sagen.
Der Aufbau der Erzählung ist hingegen erst einmal verwirrend und oftmals nicht ganz einfach, was den Lesefluss hin und wieder etwas beeinträchtigt. Doch gerade dadurch entwickelte sich die Spannung sehr gut. Ich wollte unbedingt wissen, was das am Ende alles zu bedeuten hat. Und ich muss sagen, dass dieser Aufbau rückblickend betrachtet perfekt gewählt ist.

Fazit

Ein Thriller, den ich stellenweise fast lieber als sehr gut konstruiertes Familiendrama bezeichnen würde. An Spannung fehlt es ihm dank zahlreicher Twists und falscher Fährten dennoch nicht. Amy Gentry baut mit rasantem Tempo eine unglaubliche Konstruktion auf, die wunderbar spannend und auch auf psychologischer Ebene interessant mit der Grundthematik der Identität spielt.