Rezension

Unheimlich unterhaltsame, sarkastische Dialoge, tiefgründige Charaktere und ein tolles World Building

Six of Crows - Leigh Bardugo

Six of Crows
von Leigh Bardugo

Bewertet mit 5 Sternen

Ich muss zugeben, dass mir der Einstieg nicht leicht fiel. Vielleicht lag es an der Sprache, vielleicht an dem Stil. Vielleicht aber auch einfach daran, dass die Autorin sich extrem viel Zeit lässt, ihre Charaktere und die Welt einzuführen, und die Handlung erst nach etwa hundert Seiten ins Rollen kommt.
 
Nach diesen hundert Seiten war es bei mir so, als hätte sich ein Hebel umgelegt. Und ich muss sagen, einen großen Anteil daran haben einfach die Dialoge. Denn diese sind einfach der Wahnsinn. Die Autorin stellt eine Gruppe von Menschen zusammen, die unterschiedlich sind, Vorbehalte gegeneinander haben und vor allem aus Personen besteht, die allesamt eine Veranlagung für sarkastische, zynische und auch giftige Kommentare haben, was zu unglaublich unterhaltsamen Schlagabtauschen führt, die man auf diesem Niveau selten liest.
Ehrlich, ich musste dauernd lachen und hatte einfach wegen der Dialoge schon unheimlich viel Spaß am Lesen, sodass ich schon allein deswegen dieses Buch empfehlen würde. Die stichelnden Bemerkungen, trockenen Konter und wiederkehrenden Running Gags sind einzigartig und ich habe sie geliebt!
 
Man muss die Grischa-Trilogie nicht gelesen haben, um dieses Buch zu verstehen - "Six of Crows" spielt in einem anderen Land, in einem anderen Kontext, in einer anderen Zeit und mit anderen Charakteren. Aber die kleinen Anspielungen zu entdecken, war ganz witzig (die übrigens die Grischa-Trilogie in Ansätzen ein wenig spoilern) - was meistens nur in Form von erwähnten Namen geschieht.
Trotzdem hat es mir vermutlich geholfen, mich in der Welt zurechtzufinden, die ich eben aus der Grischa-Trilogie schon kannte, auch wenn da der Fokus auf Ravka gelegen hatte.
 
Nach dem russisch angelehnten Ravka ist Ketterdam nun eher niederländisch angehaucht. Und ich fand das Setting einfach nur unglaublich cool - dunkle, nebeldurchzogene Gassen verbunden mit der zwielichtigen Unterwelt aus Verbrecher*innen, Dieb*innen und Lügner*innen mit ganz eigenen Regeln.
Das World Building wirkt auf mich einfach sehr durchdacht und gelungen, jedes Land hat eine eigene Kultur, teilweise mit Subkulturen, eine eigene Sprache und ein eigenes Gesetz, und alle gehen unterschiedlich mit den Grischa um.
 
Kommen wir zu den Charakteren. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht vor allem von fünf der Hauptcharaktere erzählt, und obwohl ich normalerweise kein Fan von Sichtwechseln bin, hat mich das hier überhaupt nicht gestört - vielleicht auch, weil das Personale eher im Hintergrund blieb und sehr dialog- und handlungsfokussiert erzählt wird.
Ungefähr im letzten Drittel gibt es dann zunehmend Rückblicke. Die meisten der Charaktere haben eine sehr eigene Vergangenheit und es spricht für ihre Tiefgründigkeit, dass diese bei allen sehr ausgearbeitet ist. Diese bleibt meist lange nur angeteasert und wird dann gegen Ende in kurzen Flashbacks erzählt, was aber so ein bisschen in Gefahr geriet, gerade in einem Teil mit sehr hoher Spannung sich zu sehr zu häufen.
 
Auf die einzelnen Charaktere will ich dabei gar nicht zu sehr eingehen, aber ich habe als sehr ausgearbeitete und vielschichtige Personen empfunden, mit ganz unterschiedlichen Stärken und Schwächen, von denen sie gerade letztere oft nicht zeigen. Ich mochte jede*n von ihnen (auch wenn Kaz mein Lieblingscharakter ist, fürchte ich), und vor allem auch die Dynamik zwischen ihnen ist toll. Ich habe sie alle in mein Herz geschlossen, weil alle oft stark auftreten, aber dem*der Leser*in und irgendwann auch den anderen ihre verletzliche Seite zeigen, weil sie tiefgründig und vielschichtig sind, eine eigene Geschichte haben, eigene Träume und eigene Werte.
Divers sind die Charaktere übrigens auch, allein schon dadurch, dass Kaz hinkt und es nicht-weiße und nicht-heterosexuelle Hauptfiguren gibt. ^^
Was ich aber auch ganz cool fand, dass einige von ihnen in einem gewissen Grad tatsächlich für das Geld mitmacht und nicht unbedingt für ein höheres moralisch einwandfreies Ziel - auch das verleiht ihnen Ecken und Kanten. Sie sind nicht unfehlbar, sie sind irgendwo tatsächlich profitorientierte Verbrecher*innen und nicht selbstlose Heilige, die sich hinter einer Farce verstecken, und das fand ich ungewohnt authentisch. Obwohl dahinter meist sehr nachvollziehbare Träume stehen.
 
Last but not least die Handlung, die auch durchgehend sehr spannend und actionreich war, allein schon bedingt durch das Setting. Sodass es im Endeffekt einfach unheimlich viel Spaß gemacht hat, dieses Buch zu lesen und ich mich wohl trotz aller Skepsis dem Hype anschließen muss, denn es ist wirklich eine unheimlich gute High Fantasy-Geschichte.

Fazit: Die Handlung kommt erst nach etwa hundert Seiten wirklich ins Rollen, konnte mich aber dann vollkommen überzeugen, nicht zuletzt durch die hohe Spannung, das coole, vielschichtige und atmosphärische World Building und die sehr tiefgründigen, diversen Hauptcharaktere, die alle Stärken und Schwächen haben und individuell gezeichnet sind. Vor allem die Dynamik zwischen diesen oft sehr unterschiedlichen und nicht immer vorbehaltlosen Charakteren mit einem hohen Maß an Sarkasmus ist toll - die Dialoge sind unheimlich gut geschrieben und die stichelnden Schlagabtausche und trockenen Kommentare sorgen für extrem viel Spaß beim Lesen!