Rezension

"Unsere gesamte Zukunft in West Table war mit dem Tag unserer Geburt bereits beschlossene Sache..."

Tomatenrot - Daniel Woodrell

Tomatenrot
von Daniel Woodrell

~~„Tomatenrot“ ist eines der frühen Bücher Daniel Woodrells, 1998 im Original erschienen und 1999 mit dem PEN West Award ausgezeichnet, eine deutsche Taschenbuch-Ausgabe war seit 2001 auf dem Markt. Bei Liebeskind, dem deutschen Verlag des amerikanischen Autors, hat man sich nun dankenswerter Weise dazu entschlossen, diesen Roman nicht nur neu aufzulegen, sondern ihn auch von Peter Torberg neu übersetzen zu lassen, einem der besten seiner Zunft.

West Table ist ein fiktiver Ort in den Ozarks, jene Region, die für den Autor Daniel Woodrell Lebensmittelpunkt und Inspiration ist und sein Schreiben maßgeblich beeinflusst hat. Die Gegend ist trostlos und das Leben dort ist geprägt von Armut, Drogen und Gewalt. Recht und Gesetz werden willkürlich gehandhabt, da die örtliche Polizei Zuwendungen und Gefälligkeiten gegenüber nicht abgeneigt ist. Und wer hier nicht mithalten kann oder will, wird sehr schnell zum Außenseiter.

In Venus Holler, dem Viertel „wo die Frauen den kürzesten Weg zum Sozialamt kennen und am Kühlschrank die private Nummer eines Kautionsvermittlers klebt“, meilenweit entfernt vom amerikanischen Traum, treffen sich Sammy, ein Streuner, der gerade seinen Job in der Hundefutterfabrik verloren hat und obdachlos ist, das Geschwisterpaar Jason, der Gutaussehende, der in einem Friseursalon Haare wäscht und seine Schwester Jamalee  mit den tomatenroten Haaren, eine clevere junge Frau, deren sehnlichster Wunsch es ist, dieses perspektivlose Leben hinter sich zu lassen. Und dann gibt es noch Bev, die Mutter der Geschwister, einst eine Schönheit, die ihren Lebensunterhalt mit Prostitution bestreitet. Jamalees Plan beruht auf Jasons Aussehen, das ihm die Bewunderung der weiblichen Bevölkerung sichert. Im Klartext, sie möchte, dass er sich prostituiert und ihnen mit den Erlösen das Ticket in ein anderes, ein besseres Leben sichert. Es sind nämlich nicht nur die Ungerechtigkeiten, die aus den Gegensätzen zwischen Arm und Reich resultieren, denen sie entfliehen wollen, es ist auch die brachiale Gewalt seitens der „echten Kerle“, der man sich besser fügt, wenn man nicht um sein Leben fürchten möchte. Und das gilt nicht nur für Frauen…

Wie auch in seinen späteren Romanen erzählt Woodrell in „Tomatenrot“ mit messerscharfen Worten eine Geschichte von unten, von Menschen, deren Schicksal bereits bei der Geburt feststeht. Wenn man aus den Ozarks kommt, und nicht in eine Country Club sondern eine „white trash“ Familie hineingeboren wird, gibt es in den seltensten Fällen ein Entkommen. Ganz gleich, wie sehr man sich bemüht. Es sind diese Tatsachen, die der Autor in realistischen Bildern vermittelt, wobei er seine Figuren aber nicht in weinerliches Selbstmitleid abdriften lässt. Obwohl sie sich ihrer Chancenlosigkeit durchaus bewusst sind, lassen sie nicht dennoch nicht entmutigen, sondern gehen mit einer gehörigen Portion Optimismus an die Verwirklichung ihrer Pläne. Rückschläge stecken sie weg, und vielleicht schaffen sie es doch eines Tages. So wie Daniel Woodrell…der nach ein paar Jahren aber wieder in die Ozark Mountains zurückgekehrt ist.