Rezension

Unterhaltsamens Sittengemälde

Kindes Kind - Barbara Vine

Kindes Kind
von Barbara Vine

Bewertet mit 3.5 Sternen

Vine erzählt in "Kindes Kind" zwei Geschichten, die lose zusammenhängen: Einmal über Bücherwurm Grace die gerade über unverheiratete Mütter in der Literatur promoviert. Lange Zeit ein Tabu, das nicht selten mit Selbstmord endete. Dem neuen Freund ihres Bruders Andy ist Grace' Dissertationsthema ein Dorn im Auge: Er meint alleinstehende Frauen hatte nie so viel zu erdulden, wie homosexuelle Männer. Grace möchte keinen Streit und flüchtet sich in das Manuskript eines Romans, in dem es sowohl um einen heimlich homosexuellen Mann und seine unverheiratet schwanger gewordene Schwester geht. Die Geschichte dieser beiden nimmt dann auch den größten Teil des Romans ein.

Hier fand ich beide Perspektiven sehr interessant. Zum einen den perfekten Sohn, der schwer damit zu kämpfen hat, vor seiner Familie niemals sein wahres Ich offenbaren zu können – ist Homosexualität in den 1920 und 30ern doch bei Strafe verboten. Er ringt mit seiner Liebe zu einem Mann, will sich in die Abstinenz flüchten und kann doch nicht von seinem Geliebten lassen. Die Geheimnistuerei setzt ihm zu und seine Beziehung scheint einseitiger zu sein, als er es sich eingestehen will... Daneben steht seine kleine Schwester, die von einem Jungen schwanger wird, den sie noch nicht einmal liebt. Es herrscht Prüderie, Aufklärung findet nicht statt und der Kampf des Mädchens mit der Erkenntnis schwanger zu sein und schließlich der Entdeckung durch die Mutter ist sehr anschaulich beschrieben. Gerade ihre Entwicklung fand ich großartig beschrieben: Das fehlende Verständnis ihrer Eltern macht sie zu einer bitteren, undankbaren Frau. Die Unterstützung ihres Bruders, die ihr aus ihrer misslichen Lage hilft, sorgt letztlich nur dafür, dass sie immer unselbstständig bleibt. Eine bittere und tragische Geschichte ist es, die die beiden Geschwister teilen.

Kindes Kind ist trotz des schweren Themas eine leichtgängiges Buch mit einer Mischung aus Familienroman, historischem Roman und wirklich ganz dezenten Krimielementen. Mir ist nach wie vor unverständlich, dass Vines Romane unter der Kategorie Krimi/Thriller geführt werden. Das trifft es nicht wirklich und dürfte bei dem einen oder anderen Leser für Enttäuschung sorgen.

Babara Vine hat einen angenehmen Erzählton, der sich leicht lesen lässt. Wie gewohnt kombiniert sie eine spannende Geschichte mit einer Portion Tragik, einem interessanten Thema und psychologisch interessanten Figuren. Das war auch diesmal wieder unterhaltsam, nur kommt es leider nicht an den „Schwarzen Falter“ oder „Schwefelhochzeit“ heran.