Rezension

Urkomische Milieustudie im Siedlungshäuschen

Unser Ole -

Unser Ole
von Katja Lange-Müller

Bewertet mit 5 Sternen

Rückblickend könnte man sich fragen, was Elvira Michalski so sicher sein ließ, dass Ida Isolde Schlosser ihr nützlich sein würde. Elvira lebte mit ihrem  kognitiv beeinträchtigten Enkel Ole in einem würfelförmigen Siedlungshäuschen mit charakteristisch hohem Dach  im Umland von Berlin. Inzwischen 18 Jahre alt, ohne ärztliche Diagnose, fachliche Betreuung oder Pflegestufe ist Ole seiner Großmutter buchstäblich über den Kopf gewachsen und lässt sich nicht mehr lenken. Ida, die ihr Leben bisher um eine Aufeinanderfolge von Sugar-Daddys angeordnet hat und als Senioren-Model arbeitet, begegnet Elvira während einer Modenschau. Dass Ida nun bei Elvira und Ole einzieht, ist von Anfang an keine Beziehung auf Augenhöhe; Elvira bleibt weiterhin die Chefin, Ida das Hauspersonal. Als eines Morgens Elvira tot auf dem Treppenabsatz gefunden wird, müssen Polizei und Elviras Tochter informiert werden.  Ihr Tod wird gnädig zum Unfall erklärt; denn Ole, über dessen autistische Züge gemunkelt wird, kann nicht befragt werden.

Manuela Michalski, die selbst ein Junge hätte werden sollen, überließ Ole nach ihrem  Klinikaufenthalt wegen postpartaler Depression einfach ihrer Mutter. Die Tochter erfand sich  neu und lebte fortan mit der Legende, ihre manipulative, irre Mutter hätte ihr Ole weggenommen. Das kurze fragile Arrangement zwischen Ida und Elvira setzt die Tochter fort; sie gibt Ida nun die Anordnungen.

Während die zur Nachkriegssiedlung passenden Redensarten im Text immer verschnörkelter wirken, verschwindet Ole  …

Fazit

Katja Lange-Müller seziert  weibliche Lebensentwürfe und Varianten von Mutterschaft in zwei Generationen.  Der urkomische Text  lässt großzügig  Raum für eigene Spekulationen – wie starb Elvira wirklich, wie könnte Ole seine Umwelt wahrnehmen – und wo ist er überhaupt? Eine großartige Milieustudie im „Haus vom Nikolaus“.