Rezension

Verlorene Jahre. Das Mädchen mit der Engelsstimme.

Annas Rückkehr - Rose Philipps

Annas Rückkehr
von Rose Philipps

 

Verlorene Jahre. Das Mädchen mit der Engelsstimme.

Die bildschöne und elegante amerikanische Opernsängerin Anna Miller besitzt das absolute Gehör und die Stimme eines Engels. In Begleitung ihres Managers reist sie im Herbst des Jahres 1955 für einen Auftritt von New York nach Berlin und möchte diese Reise mit der Suche nach ihren Verwandten verbinden. Anna wurde im Alter von fünfzehn Jahren von ihrer Familie ohne jegliche Erklärung weggeschickt, Zorn und tiefe Verletzung bestimmten seitdem ihr Leben. In Berlin angekommen holen Anna die Erinnerungen wieder ein. Sie beschließt, dass es nun endlich an der Zeit ist, die Wahrheit über die damaligen Ereignisse herauszufinden. Das Wiedersehen mit ihrer Mutter Margarete „Grete“ Künke und ihrem Bruder Anton gestaltet sich emotional, der endlich wiedervereinigten Familie ist jedoch keine gemeinsame Zeit vergönnt. Die schwerkranke Grete stirbt kurz nach der Aussprache mit ihrer Tochter in der Gewissheit, dass diese ihr vergeben hat.  Anna erfährt die Wahrheit über ihre Kindheit schließlich durch ihren Bruder Anton sowie die Tagebucheinträge von Ellie, der Ehefrau des Reichsleiters Ferdinand Probst. In laufendem Perspektivenwechsel wird dem Leser eröffnet, was zwischen 1933 und 1944 in Berlin vorgefallen war; die vielen Erinnerungsfragmente formen sich letztendlich zu einem Gesamtbild.

Rose Philipps erzählt die dramatische Geschichte der Familie Künke und verschont den Leser nicht mit Hinweisen auf die fürchterlichen Gräueltaten des Naziregimes. In sehr eindringlichen Worten und mit schonungsloser Offenheit zeichnet die Autorin ein Bild der damaligen Zeit und thematisiert das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, nämlich die unvorstellbare Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten unter der Führerdiktatur Adolf Hitlers. Obgleich Rose Philipps die historisch belegten Fakten mit einer fiktiven Familiengeschichte verband und in Romanform präsentiert, schmälert dies nicht die Intensität und Wirkung.

Der Schreibstil dieses Buches hat mir sehr gut gefallen, die handelnden Figuren waren überzeugend dargestellt. Anna Miller gilt zwar als Protagonistin in dieser Geschichte, das größte Augenmerk lag jedoch auf Margarete Künke und Elisabeth Probst. Speziell die stille, unscheinbare Grete weist große Tiefe auf, sie musste in ihrem bewegten Leben viele Schicksalsschläge ertragen. Grete war es auch, deren Entwicklung mich am meisten beeindruckte. Gretes Ehemann Gustav darf ich als meinen ganz persönlichen Antagonisten bezeichnen. Ich verabscheute diesen grausamen und herzlosen Mann mit jeder Buchseite ein wenig mehr.

Die zahlreichen Nebenfiguren sowie die Einblicke in deren Denken und Handeln fand ich ebenfalls sehr gut ausgearbeitet. Rose Philipps verstand es zudem, zwischen den grauenhaften Ereignissen immer wieder menschliche Aspekte einzubringen. Personen wie beispielsweise Oma Luise, eine alte Witwe in der Nachbarschaft, die für die Klünkes wie eine leibliche Verwandte sorgt oder die Ehefrau eines einflussreichen Nazifunktionärs, die sich für andere einsetzt und gegen menschenunwürdige Behandlungen auflehnt. Gretes freundliche und hilfsbereite Arbeitgeberin Frau Rubinstein steht beispielhaft für jene Mitglieder jüdischer Familien, denen die Flucht aus Deutschland noch rechtzeitig gelungen ist. Im Roman gibt es jedoch auch Hinweise auf die unzähligen Menschen, denen dies nicht vergönnt war. Den Konzentrations- und Vernichtungslagern wird durch die Verschleppung jüdischer Bürger und der Verhütung erbkranken Nachwuchses in diesem Buch gleich in zweifacher Hinsicht eine schreckliche Rolle zuteil.

Fazit: „Annas Rückkehr“ ist ein sehr intensives Buch, eine überwältigende Lektüre, die mich erschüttert und emotional aufgewühlt hat. Fünf Bewertungssterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung dafür!