Rezension

Verraten, verkauft, versklavt

Wie rote Erde -

Wie rote Erde
von Tara June Winch

Bewertet mit 3.5 Sternen

Geschichte war zu Schulzeiten eines meiner Lieblingsfächer. Das Interesse an den vergangenen Zeiten habe ich bis heute nicht verloren und durch Literatur und Bücher ist es eigentlich ganz einfach einen Blick in die Vorzeit zu erhalten. Doch dafür muss man ab und zu aus seiner Komfortzone ausbrechen und Bücher wählen, die einen in Länder und Zeiten entführen, über die man beschämend wenig weiß - so „Wie rote Erde“ von Tara June Winch. Mein Faible für schöne Buchcover hat mir hier in die Hände gespielt und mich in eine Welt stolpern lassen, über die in meinen Schulbüchern von damals nichts zu finden ist. Während wir sehr wohl über die Entdeckung Amerikas, die Kolonialisierung des amerikanischen Kontinents und den Kampf um Unabhängigkeit unterrichtet wurden, blieb Australien nur eine Randnotiz. Wie kann das sein?

Tara June Winchs Roman ist eine beeindruckende Erzählung über ein Stück australischer Geschichte - kraftvoll, voller Leid und Elend, mutig, zäh und unbezwingbar. Die Autorin bringt verschiedene Erzählerstimmen und Erzählstile zusammen und lässt so erahnen, welche Kultur dem Land verloren ging und welches Unrecht, die Einwanderer als Eroberer ausübten – zum Teil bis heute ausüben.

Kürzlich bin ich in Berlin durch die Ausstellung des ethnologischen Museums gegangen. Die Benin-Bronzen sind dort gerade das vorherrschende Thema. Zu Unrecht raubten die Briten Nigerias Kulturschätze kurz vor der Jahrhundertwende, nach über 120 Jahren gibt Berlin die Bronzen nun zurück. In der Ausstellung sind nicht nur die Bronzen ausgestellt, sondern noch wesentlich mehr Artefakte anderer Kulturen - auch aus dem australischen Raum. Ich beginne erst allmählich zu verstehen, warum es sich so falsch und schuldig angefühlt hat, durch diese Räume zu gehen und auf all diese aufgereihten, gesammelten Schätze zu blicken. Auch Tara June Winch lässt zwei ihrer Figuren durch solch eine Ausstellung gehen und die Trauer und Verzweiflung über diese Aneignung letztlich geraubter Familienkultur ist mir wie flache Schläge mit der Hand links und rechts ins Gesicht gefahren. Ich bin zusammengezuckt und habe mich so dumm und naiv gefühlt, weil ich ganz natürlich an meiner eigenen Perspektive auf die Welt festhalte. „Wie rote Erde“ reicht mir die Hand und lädt mich ein, meinen Standpunkt vorübergehend zu wechseln, einen unbekannten Blick auf ein Stück der Geschichte einzunehmen. Einer fast vergessenen Sprache zu begegnen und sich den Traumata ganzer Generationen nicht zu entziehen. Es ist eine anstrengende Lektüre, aufwühlend auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Zeiten. Doch sie berührt mich auch ungemein, klärt mich auf und erspart mir dennoch den erhobenen Zeigefinger, den ich wohl durchaus verdient hätte. Die Perspektive ist nicht meine und nicht für mich gedacht. Sie ist der Blick auf ein Stück eigene Geschichte, die trotz der viel dominanteren Geschichtsschreibung der Sieger überlebt hat und endlich erzählt wird.