Rezension

Verschwimmende Grenzen

Lippels Traum 1 -

Lippels Traum 1
von Paul Maar

Bewertet mit 4 Sternen

Eigentlich ist Lippel ein ganz gewöhnlicher Junge mit ganz gewöhnlichen Eltern. Vielleicht ein bisschen bücherverrückt, vielleicht etwas zu verträumt, aber im Grunde ein gewöhnlicher kleiner Junge mit einem großen Interesse für den Orient. Das ändert sich als seine Eltern verreisen und er allein unter Aufsicht der unsympathischen Frau Jakob zurückbleibt, die ihn nicht nur zwingen will die verhasste Tomatensoße zu essen, sondern ihm auch noch das Buch wegnimmt, dass seine Eltern ihm bei ihrer Abreise geschenkt haben. Wie soll e nur herausfinden wie die spannende Geschichte weitergeht? Da fängt er an die Fortsetzung zu träumen und ist plötzlich mitten drin in einem phantastischen Abenteuer, bei dem die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmen.

Eine tolle Idee, die den Leser in ein wunderbares Märchenabenteuer mit dem Zauber von 1001 Nacht entführt. Und doch ist es so viel mehr. Es klingen so viele unterschiedliche Motive an, die mal sehr präsent sind und dann wieder nur unterschwellig mitschwingen. Die Einsamkeit eines Jungen ohne Freunde, die Erfahrung eines Kindes, wenn es zum ersten Mal von seinen Eltern alleine gelassen wird und mit einer Aufsichtsperson konfrontiert ist, die nicht einmal versucht mit Verständnis und Offenheit auf ihn einzugehen, sondern einfach nur einen Job erledigt, für den sie Geld bekommt und auch nicht vor Lügen zurückschreckt, die das Kind verletzen, um den eigenen Egoismus zu kaschieren. Natürlich prallen hier auch zwei Erziehungsmethoden aufeinander, die gerade bei der Erstauflage des Buches in den 1980ern noch parallel existierten. Man spürt aber geradezu wie das Kind beim „alten“ Erziehungsideal verletzt und isoliert wird. Die Flucht in die Traumwelt – nachdem die der Realität nähere Bücherwelt weggenommen wurde – ist magisch und hat in ihrem Grundgedanken für erwachsene Leser durchaus auch eine verstörende Komponente. Viel Interpretationspotential wie es sich für ein gutes Kinderbuch, das mittlerweile Klassikerstatus hat, gehört.

Bereichert wird das Buch durch phantastische Illustrationen von der Hand des Autors.

Eine märchenhafte, fesselnde Geschichte mit vielen Facetten.