Rezension

Verwirrend und verstörend - nicht meins

Ravenhill Plays: 1 - Mark Ravenhill

Ravenhill Plays: 1
von Mark Ravenhill

Bewertet mit 1.5 Sternen

Shopping and F***ing

 

Wenn alles im Leben nur noch dadurch bestimmt wird, wie viel etwas kostet und wie viel man dafür bezahlen kann, geraten alle Werte in Gefahr. Robbie und Lulu gehören Mark - und Mark will davon loskommen, dass er sich an alles und jeden bindet: Seien es Drogen oder... seine angeblichen Sexsklaven Robbie und Lulu.
Als er aus der Entzugsklinik geworfen wird, nachdem man ihn mit einem anderen Patienten unter der Dusche erwischt hat, ist Mark völlig orientierungslos - und ohne Geld scheinbar nicht in der Lage, sich Zuneigung zu holen...

Ein ziemlich verwirrendes und meiner Meinung nach reichlich abartiges Stück. Mir hat es nicht gefallen, aber ich glaube, das liegt nicht zwingend nur am Stück - die recht häufigen (auf der Bühne gezeigten!) merkwürdigen Sexualpraktiken haben mich angeekelt, auf einen anderen Leser könnten sie faszinierend wirken, ich weiß es nicht.
Am Ende begreift man diffus, dass irgendwie der ewige Kreislauf aus Konsum und Geilheit durchbrochen wird - aber wirklich sehr diffus...

 

Handbag

Eine Vierergruppe aus zwei homosexuellen Frauen und zwei homosexuellen Männern wünscht sich ein gemeinsames Baby. Mauretta bringt es schließlich zur Welt und die Freude ist groß, doch das Baby leidet an einer Art angeborenem Kehlkopfverschluss und es ist nicht gewiss, ob es leben wird.
Die Vierergruppe ist quasi rund um die Uhr unterwegs um zu arbeiten - man will dem Baby ja eine gute zukunft bieten...
Parallel baut sich eine andere Handlung auf: die irische Schwester von Constanze, die ebenfalls ein Baby zur Welt gebracht hat, jedoch keine mütterlichen Gefühle empfinden kann, trifft auf dem Bahnhof zufällig auf Prisma - Romanautorin und künftige Nanny für Constanzes Baby in einem.
Und dann fangen die Handlungen an, sich zu mischen und zu überlappen.

Handbag ist coool. Ist es wirklich. Es gab nur eine Lemon-Szene und einmal eine Lime-Szene - letztere kann man weglassen, ohne dass sich irgendwas verändern würde, erstere kann man zumindest irgendwie so zeigen, dass der Zuschauer das Ganze nicht sehen muss *g*.
Aber ansonsten... das Stück hat Sinn und es spricht wirkliche Probleme an:
Die Gesellschaft erwartet von einer Mutter, dass sie mütterlich ist, sich dem Kind hingibt. Aber was ist, wenn die Mutter an Wochenbettdepressionen leidet und das Kind darum erstmal nicht lieben kann? Aber muss? Weil sie doch eine gute Mutter sein will?
Was passiert, wenn ein Baby in einer Patchworkfamilie geboren wird, in der sich niemand um das Baby kümmern kann?
Sind Beziehungen für die Ewigkeit?
Muss der Eine sich ewig an den anderen binden, weil er geliebt wird, auch wenn er den anderen nicht liebt?
Fragen, die aufgeworfen werden und über die man immer wieder nachdenkt... Dazu eine Menge recht gestörter Charaktere, die aber gerade darum recht spannend sind. Man spürt dieses Mal, dass diese Charaktere eine Hintergrundstory haben (sie wird immer mal angedeutet, wenn auch selten explizit erzählt).

"Handbag" fand ich gut.

 

Some explicit polaroids

Auch hier weben sich zwei Handlungsstränge ineinander:
Nachdem er jahrelang im Gefängnis saß, kehrt Nick zu seiner damaligen Freundin Helen zurück und gesteht: In all den Jahren hat sich die Welt verändert und er findet sich nicht mehr zurecht - wo ist der Idealismus hin, der seine Zeit geprägt hat? Wo sind die Jugendlichen, die das System stürzen wollen?
Doch auch die ehemalige Revoluzzerin Helen ist nicht mehr die junge Frau, die ihn zum Mordversuch an Jonathan aufgefordert hat (ich habe nie kapiert, wieso eigentlich) - sie ist erfolgreiche Politikerin und steckt mitten im Wahlkampf, um ins britische Unterhaus einzuziehen.
Parallel wird die Geschichte von Tim, Victor und Nadia erzählt. Tim, (vermutlich) aidskrank, lässt Victor auf seine Kosten einfliegen, damit der sein persönlicher GoGo-Tänzer und Sklave wird.
Doch als Nick und Nadia einander kennenlernen, verknoten sich die so unterschiedlichen Erzählstränge miteinander...

Wie sagt man so schön? Das Beste kommt zum Schluss. Dieses Stück thematisiert noch mehr als "Handbag", dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man um jeden Preis glücklich sein muss. Und ist man es nicht, so muss man es erscheinen und das Negative verdrängen bis die Blase platzt und man dem Schlechten nicht mehr entkommen kann.

 

Faust is dead

 

Weil Alain im betrunkenen Zustand behauptet hat, Produzent zu sein, fängt Pete was mit ihm an - denn er ist mit einer Band befreundet, die uuuunbedingt einen Produzenten braucht! Doch dann stellt sich heraus, dass Alain... eben betrunken war. Und gar kein Produzent ist. Aber Pete besitzt das einzige Exemplar einer Diskette mit einem Programm, das die Welt regieren kann. Und wird darum permanent verfolgt...

Ein ziemlich psychedelisches Stück. Im Grunde genommen befinden sich die zwei Protas die größte Zeit auf einem Ecstasy-Trip. Alain der Intellektuelle versucht, dem simpler gestrickten Pete die Welt zu erklären und dann kommt irgendwie auch noch das Ritzen vor laufender Webcam und lauter solches Zeug im Stück vor - und wird da so gehandhabt, als würde die halbe Welt sowas tun, weil man sich sonst so virtuell fühlt.
Und ich frage mich, ob Petes Vater der Programmierer zufällig Bill heißt, oder ob das eine Bill-Gates-Anspielung ist.

Aber immerhin war das einen Hauch besser als das erste Stück...