Vielleicht stirbt man nicht (so schnell)
Bewertet mit 3 Sternen
Eigentlich soll er sterben, der Ich-Erzähler; ab dem Moment, in dem der Tod an der Tür klingelt, gibt es kein Erbarmen, ist sein Ende besiegelt. Wenn nicht Ex-Freundin Sophia wäre, die wenige Sekunden später völlig unerwartet klingelt. Und weil der Tod demjenigen, den er holt, noch einen Wunsch frei gibt, bekommt der Erzähler eine Galgenfrist: Zusammen mit Sophia hatte er eine Fahrt zu seiner Mutter geplant, die er jetzt noch machen darf. Natürlich muss der Tod mit.
Doch auch der Tod hat Sorgen: Ein missliebiger Konkurrent sägt an seinem Stuhl; er könnte seinen Job verlieren und muss den anderen besiegen.
Von außen betrachtet scheint der Erzähler ein Loser, eine Aushilfsstelle in einem Altenheim, eine Wohnung mit zusammengestoppelten und geerbten Alt-Möbeln, keine eigene Familie, nur einen Sohn von acht Jahren, der bei der Mutter und den reichen Großeltern mütterlicherseits weit entfernt aufwächst. Dennoch schreibt er seinem Sohn jeden Tag eine Postkarte mit einer Karikatur und einem kurzen Text über das, was er am jeweiligen Tag erlebt hat.
Im Mittelpunkt seines Lebens steht Fußball; Spiele, Tabellen, Punktestände – er ist über alles informiert und liest bevorzugt Fußballzeitungen.
Mit Tod und Sophia fährt er zunächst zur Mutter; dann brechen alle vier auf, um den Sohn, bzw. Enkel zu besuchen, der vom Tod-Konkurrent bedroht wird.
Klamauk? Bemühter oder peinlicher Witz? Nein.
Denn immer wieder bricht die Handlung auf und macht Erinnerungen Platz, kleinen (und großen) Gedanken über die Endlichkeit, das Wichtige und das Nebensächliche; dennoch kommt es nicht zum großen Rückblick. Es sind eher die beiläufigen und alltäglichen Ereignisse, die ins Gedächtnis zurückkommen. Nicht tiefsinnig, sondern zusammengefügt aus lapidaren, trockenen und unspektakulären Assoziationen.
Auch den Wortgefechten zwischen der besorgten und emsigen Mutter, der schlagfertigen und willensstarken Sophia und dem Tod (der sich der ahnungslosen Mutter als Niederländer Morten de Sarg vorstellt) folgt man mit Vergnügen.
Misslungen sind die aus der Fantasy entliehenen Einschübe um den Kampf der beiden Tode; ein Bruch. Trotz des irrealen Themas und der absurden Handlung ist die Geschichte dennoch auf der realen Ebene angesiedelt. Und was da blaue Funken sprüht und mit Leuchtstäben aufeinander losgeht, fällt störend aus dem Rahmen.
Ein eventuelles Konzept, die Spannung des Buches dadurch zu puschen, geht nicht auf. Für einen Genremix sind die Passagen zu sehr vom Gesamtinhalt abgetrennt, und für die Gesamthandlung braucht das Buch sie nicht.
Zu Anfang des Buches befürchtete ich, der schnodderigen Sprache, der flapsigen Dialoge und des saloppen Umgangs der Figuren miteinander schnell überdrüssig zu werden, doch der Autor schafft es vor allem durch die Abschweifungen des Erzählers in seine chaotischen Gedanken und Erinnerungen, den Roman auf ein anderes, weiteres Feld zu stellen.
Er: „Warum lieben die Menschen eine Blumenwiese?“
Ich: „Weil sie so schön bunt ist.“
Er: „Nein, weil sie nur vier Wochen lang so schön bunt ist. Und dann wird sie gelb, und dann ist sie tot. Ohne mich wäre es einfach nur eine Fläche mit bunten Punkten. Ich mache den ganzen Kram hier zu dem, was er ist. Ich bin der Grund, warum ihr morgens aufsteht. Ich bin die Angst, die euch lieben lässt. Ich bin das Ticken in eurem Kopf. Alles, was ihr am Leben liebt, bekommt durch mich erst seine Form. Die Angst, etwas zu verpassen. Was willst du verpassen, wenn du es immer nachholen kannst?“ (S. 248)