Rezension

Viktorianischer Krimi, ungewöhnlich und spannend

Aurora Floyd - Mary Elizabeth Braddon

Aurora Floyd
von Mary Elizabeth Braddon

Bewertet mit 4 Sternen

Die norddeutsche Publizistin und Journalistin Anja Marschall (52) schreibt zwar selbst seit einigen Jahren historische Kriminalromane, doch diesmal geht es nicht um sie als Autorin, sondern als Übersetzerin. Marschall nennt sich selbst eine „bekennenden Anglophile“ mit Begeisterung für das 19. Jahrhundert und widmet sich seit Jahren dem Leben der englischen Schriftstellerin Elizabeth Maria Braddon (1837-1915) und deren viktorianischen Krimis. Braddon war eine der populärsten Schriftstellerinnen des viktorianischen England und gilt als „Erfinderin des Ermittlerkrimis“, einst hochgelobt von Kollegen wie Charles Dickens und Thomas Hardy. Sie schrieb über 80 Romane, in denen sie unerschrocken damals heikle Themen wie Bigamie, Ehebruch oder Abtreibung in ihre Romane aufnahm. Nach Anja Marschalls 2013 veröffentlichter Neuübersetzung des Braddon-Krimis „Das Geheimnis der Lady Audley“ von 1862, der vor 150 Jahren ein einziges Mal auf Deutsch übersetzt wurde, erschien im November im Frankfurter Dryas-Verlag ihre zweite Übersetzung, der Krimi „Aurora Floyd“ (1863), den es anscheinend zuvor noch nie auf Deutsch gab.

Die junge Aurora Floyd kehrt von einer Pariser Privatschule auf den väterlichen Landsitz Felden Woods zurück. Zwar fügt sie sich sofort ins heimische Gesellschaftsleben ein, doch in Paris muss etwas geschehen sein, worüber Aurora beharrlich schweigt. Sogar ihrem Verlobten, einem ehrbaren Offizier, verweigert sie die Wahrheit, weshalb sich dieser von ihr trennt. Aurora verlobt sich ein zweites Mal und heiratet einen sorglosen, lebenslustigen und nur an Pferderennen interessierten Gutserben. Doch dann wird auf dem Gutshof die Leiche eines Mannes entdeckt. Handfeste Indizien weisen auf Aurora als mögliche Mörderin hin, doch weigert sich, mit Offenbarung ihres Geheimnisses zur eigenen Entlastung beizutragen. Dieses hartnäckige Schweigen droht nicht nur Aurora selbst, sondern sogar ihrem Ehemann und ihrem Vater zum Verhängnis zu werden.

Sicherlich wäre eine zeitgenössische Übersetzung dieses Romans für den heutigen Leser schwierig zu lesen, möglicherweise würde er die Lektüre als „verstaubt“ ablehnen. Es ist deshalb zweifellos das Verdienst der Übersetzerin Anja Marschall, mit ihrer Übertragung in unsere moderne Sprache und mit ihrer Überarbeitung dieses Romans ein zweites Werk der längst vergessenen britischen Bestseller-Autorin für uns lesbar zu machen, dabei aber in Satzbau und Wortwahl die Atmosphäre jener Zeit zu wahren. Denn natürlich ist dieser Krimi aus dem Jahr 1863 ein Spiegelbild seiner Zeit. Da gibt es die unbesorgt im Wohlstand lebende Oberschicht und das auf dem Gutshof arbeitende Proletariat der Landarabeiter und des Hauspersonals. Aber da wie dort gibt es Ängste, Hass und Missgunst und die Sehnsucht nach Glück.

Mit diesen Gefühlen spielt die viktorianische Bestseller-Autorin hervorragend, so dass ihr Roman „Aurora Floyd“ auch für uns spannend bleibt. Nur eines mag Braddons viktorianischer Krimi aus dem 19 Jahrhundert vielleicht von modernen des 21. Jahrhunderts unterscheiden: Beginnt heute fast jeder Krimi mit einem Toten und startet mit hoher Handlungsgeschwindigkeit, geht es in Braddons Roman weitaus geruhsamer zu und der Mord geschieht auch erst gegen Mitte des Buches. Dies mag auf manchen Leser anfangs vielleicht langatmig wirken. Doch Durchhalten ist empfohlen, denn Tempo und Spannung steigern sich von Kapitel zu Kapitel. In jedem Fall ist die Lektüre des Romans „Aurora Floyd“ für Krimi-Freunde ein interessantes Experiment und ein Erlebnis, zumal wir darin von den Anfängen moderner Polizeiarbeit lesen.