Vom Zerfall eines Wals und einer Insel
Der Erstlingsroman "Die Tage des Wals" von Elizabeth O'Connor spielt kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs auf einer walisischen Insel, auf der für jeden Nicht-Einheimischen das Leben stehen geblieben scheint. Der titelgebende Wal, der auf der Insel strandet, zerfällt im Laufe des Romans, wird ausgeschlachtet und in seine Einzelteile zerlegt. Er scheint Sinnbild für das Leben auf der Insel zu sein, dessen Fortbestand gefährdet ist, da die jungen Menschen die Insel verlassen, um auf dem Festland ein vermeintlich besseres Leben zu finden. Auch die 18-jährige Protagonistin Manod träumt vom Leben auf dem Festland. Manod ist sehr intelligent und spricht nicht nur - wie die meisten Inselbewohner - den walisischen Dialekt der Insel, sondern auch Englisch. Dies qualifiziert sie für den Job der Übersetzerin für 2 Wissenschaftler, die zeitgleich mit dem Wal auf die Insel kommen. Sie hat die Hoffnung, die Wissenschaftler als Sprungbrett zum Festland nutzen zu können. Denn nach Abschluss der Inselschule bleibt Manod scheinbar nichts ausser der Heirat. Hierfür bietet die Insel genau einen Kandidaten in ihrem Alter. Dass Manod in ihrer Abgeschiedenheit eine so intelligente, starke und letztlich auch emanzipierte Frau ist, die nach dem frühen Tod der Mutter ihre kleine Schwester und ihren Vater, den Hummerfischer, versorgt, ist erstaunlich.
Der Roman besteht aus sehr kurzen Sequenzen, die nicht nur Handlungen und Gedanken umfassen, sondern auch die Notizen der Wissenschaftler, die ein romantisierendes Bild des Insellebens spiegeln, wie Manod feststellen muss. Dieser fast schon Stakkato-Stil bildet ein sehr ruhiges, fast schon karges Lese-Erlebnis und passt also zum Leben auf der Insel. Ich mag dies sehr, Freunde von viel Action kommen hier nicht auf ihre Kosten.
Das Ende ließ mich zunächst etwas ratlos zurück, bietet nach einigem Nachdenken aber eine absolut glaubwürdige Lösung, frei von Kitsch.
Alles in allem: Ein spezielles Buch, mir gefällt es gut!