Rezension

Von Doppelmoral und Scheinheiligkeit

Charlotte Löwensköld -

Charlotte Löwensköld
von Selma Lagerlöf

Bewertet mit 5 Sternen

Schweden im Jahr 1820: Charlotte Löwensköld ist seit Jahren mit dem Pfarrer Karl-Artur Ekenstedt verlobt, der aus bescheidenen Verhältnissen kommt. An der Verbindung hält sie fest, selbst als ihr der reiche Bergwerksdirektor Schagerström einen Antrag macht. Dennoch steigert sich Karl-Artur in seine Eifersucht hinein. Eine Katastrophe bahnt sich für Charlotte an…

„Charlotte Löwensköld“ ist ein Roman von Selma Lagerlöf, der erstmals im Jahr 1925 erschienen und der zweite Teil einer Trilogie ist.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus mehr als 20 Kapiteln, die in sich geschlossen sind und zum Teil in weitere Abschnitte untergliedert sind. Der Aufbau ist wohl durchdacht und funktioniert hervorragend.

Obwohl der Roman bereits vor fast 100 Jahren geschrieben wurde, kommt der Schreibstil angenehm modern daher. Der teils süffisante Erzählton sorgt für eine unterhaltsame, jedoch nicht zu seichte Lektüre. Immer wieder zeigt es sich, dass die Autorin trefflich mit Sprache umgehen konnte. Die Neuübersetzung erscheint mir geglückt.

Auffällig im positiven Sinne ist, dass die weiblichen Figuren die Handlung dominieren. Sie stehen - neben Karl-Artur - im Vordergrund des Geschehens.

Im Hinblick auf den Inhalt ist der Roman außerordentlich gesellschaftskritisch. Er legt den Finger in die Wunde, indem er Systemfehler und Missstände, Doppelmoral und Scheinheiligkeit anprangert. Immer wieder tritt die feministische Perspektive der Autorin zutage. Sie weist auf Misogynie und die Situation der Frauen in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft hin. Zwar haben sich die Umstände in Schweden in vielerlei Hinsicht mittlerweile geändert. In einigen Aspekten ist der Roman allerdings nach wie vor zeitgemäß. 

Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit. Sie ist kurzweilig und bietet überraschende Wendungen.

Besonders erhellend und auf den Punkt ist das gelungene Nachwort von Mareike Fallwickl, die die Autorin Lagerlöf in all ihren Facetten beleuchtet und die Romanhandlung in den historischen Kontext einordnet.

Das hübsche Cover und die sonstige Anmutung der gebundenen Manesse-Ausgabe machen einen hochwertigen Eindruck. Für mich hätte das Format lediglich etwas weniger handlich ausfallen dürfen.

Mein Fazit:
„Charlotte Löwensköld“ von Selma Lagerlöf ist ein ungemein lesenswerter Klassiker, der im Laufe der Zeit nichts von seinem Unterhaltungswert eingebüßt hat und sowohl in sprachlicher als auch inhaltlicher Hinsicht erstaunlich aktuell ist. Uneingeschränkt empfehlenswert!