Rezension

Die Idylle trügt

Charlotte Löwensköld -

Charlotte Löwensköld
von Selma Lagerlöf

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Auf kluge wie bestechende Weise entlarvt die erste Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf in ihrem modernen Meiserwerk ein von der Gesellschaft geschaffenes Frauenbild, das die bedingungslose Aufopferung gegenüber dem Mann verlangt."

Charlotte ist bereits seit fünf Jahren dem jungen Theologiestudenten Karl-Artur Ekenstedt versprochen, als dieser sich wegen diverser Missverständnisse empört von ihr abwendet und die Verlobung löst. In seiner selbstgerechten Art und großem Vertrauen auf Gott, verspricht er, stattdessen die erstbeste Frau, die ihm über den Weg läuft, zu heiraten. Es ist die Hausiererin Anna Svärd, die seinen überstürzten Abgang kreuzt. Karl-Arturs Eltern, eine angesehene Familie, sind entsprechend entsetzt. Beate Ekenstedt war zeitlebens eine glühende Verehrerin ihres Sohnes, hat es geschluckt, dass er sich dem Pietismus verschrieb und fortan predigend die Menscheit retten will, doch ihre vernarrte Liebe wird auf eine harte Probe gestellt. Sie insistiert.

Charlottes Schicksal ist der verwitwete Bergwerksdirektor Schagerström. Er hielt um ihre Hand an, die Charlotte jedoch abwies, was wiederum Karl-Artur als Beleg dafür nahm, dass Charlotte ihn (Karl-Artur) zu gotteslästernder Karriere zwingen will... ihr seht schon, dieses Gedankenwirrwarr haben wir zwar dem Fanatismus des jungen Ekenstedt zu verdanken, macht die Sache aber auch nicht besser. Zumal es noch eine Einflüsterin und heimlich Verliebte gibt, die Frau des Organisten, Thea Sundler. Sie streut Zwietracht zwischen Charlotte und Karl-Artur.

Charlotte aber ist eine echte Löwin (zumindest assoziiere ich es mit ihrem Nachnamen) und kämpft, nicht nur vergebens um ihre wahre Liebe zu Karl-Artur, sondern auch um dessen Ruf in der Gemeinde und letztendlich dann um die Versöhnung von Sohn und Mutter, deren besondere Beziehung ihr nicht entgangen ist. Selbstlos nimmt sie alle Schmach auf sich, opfert sich den Erwartungen und lässt sich sogar von Anna Svärd erpressen.

Die reichlichen Verwicklungen in dieser Geschichte des gebrochenen Verlöbnisses, welches auf eine wahre Begebenheit beruhen soll, wird in die Familiengeschichte der Löwenskölds verwoben und der heitere Ton dieses Mittelstücks einer Trilogie lässt den Leser auf den Wellen einer ausgeklügelten Komödie auf und ab gleiten. Entrüstet man sich in einem Augenblick noch über die Selbstherrlichkeit eines von Mutterliebe verwöhnten Hagestolzes, verblüfft einen im nächsten Kapitel die, trotz aller intelligenten Empathie ausgestatten, Hauptfigur mit ihrer Opferbereitschaft und Hingabe.

Dieses Wechselbad der Gefühle ließ mich dann auch etwas ratlos zurück, warum die eigentlichen Probleme der Frau im patriarchalischem Machtgefüge eines Schweden des frühen 19. Jahrhunderts so stiefmütterlich behandelt wurden. Charlotte selbst war mittellos, aber bereit, den entsagungsreichen Weg mit ihrem Verlobten zu gehen und alle Frauen, die für oder gegen diese Verbingung gearbeitet haben, waren etabliert. Weder das Schicksal von Charlottes Schwester, Anna Svärds, oder der verweisten Kinder in einer Armenauktion wurden weiter beleuchtet und tiefer in die Geschichte eingeführt. Stattdessen bekamen die Mütter der Herren Schagerström und Ekenstedt eine bedeutende Rolle bei der Erziehung ihrer Söhne zugesprochen, was meine Erwartungen an diesen Roman zuwiderlief. Die Raffinesse Charlottes wurde durch böse Nachrede zunichte gemacht, Schagerströms Hilfsbereitschaft durch Sitte und Anstand ad absurdum geführt und heldenhafte Taten mihilfe des Schicksals zu einem guten Ende geführt. Das hat ein wenig was von Grimms Märchen.

Selma Lagerlöfs angenehmer Erzählstil zeichnet sich durch in sich geschlossene Kapitel aus, deren Überschriften manchmal etwas Schelmisches durchblitzen lassen. Sie hält ihr Personal in Grenzen, manche Andeutungen machen jedoch klar, dass dieser Familienepos nicht allein von Charlottes Schicksal bestimmt ist. Vielmehr weiß sie sehr wohl um Zwänge und Abhängigkeiten zu berichten, wenn auch mit wenig Gewicht.

Viel Gewicht hat allerdings der Manesse Verlag auf Gestaltung, Papierqualität und Haptik gelegt und macht aus diesem Klassiker der Literatur ein Schmuckstück für die Bibliothek.