Rezension

Von Menschen und Maschinen

Das Mädchen mit dem Porzellangesicht -

Das Mädchen mit dem Porzellangesicht
von Simone Keil

Bewertet mit 3 Sternen

Geschichten und Bücher haben schon früh eine große Anziehungskraft auf mich ausgeübt, besonders den Märchen bin ich bis heute sehr zugetan – je schauriger, desto besser. Die Gebrüder Grimm haben da einige in ihrer Sammlung, die man gut als Horrorstreifen verfilmen könnte. Ich mag das klar zu fassende in diesen Kinder- und Hausmärchen, die ja auf generationenübergreifende Erzählungen beruhen: In der Regel gewinnt das Gute und das Böse wird bestraft. Im Studium bin ich dann über die Kunstmärchen von Tieck und Co gestolpert sowie irgendwann über die Nachtstücke von E.T.A. Hoffmann. Aber die Kunst ist nicht umsonst Bestandteil der Beschreibung – die Geschichten sind mir zu gekünstelt, das Schaurige zu stark herbeigeschrieben, ohne mich wirklich zu erreichen. Mir fiel es oft schwer nachzuvollziehen, warum sich die Figur gerade bis zu Tode fürchten sollte. Dennoch spukte mir bei Simone Keils Geschichte über „Das Mädchen mit dem Porzellangesicht“ ganz oft Hoffmanns „Sandmann“ durch den Kopf. Wahrscheinlich wegen der mechanischen Figuren, die allerdings in Simone Keils Plot nicht auf der dunklen Seite stehen. Nein, es ist auch die Figur von Fairweather, die mich an diese Schauermärchen der Romantiker denken ließ. Simone Keil gelingt es bestens nach und nach das teuflische, dämonenhafte ihrer Figur zu enthüllen, dass einem als Leser Angst und Bange bei der Vorstellung wird, Fairweather könnte je das Mädchen mit dem Porzellangesicht in die Finger bekommen. Im erzählerischen Stile ist die Autorin den Erzählungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts durchaus verbunden, obwohl sie doch eine klarere Sprache spricht und nichts manieristisches von der Geschichte ablenkt. Dennoch behält sie sich vor, den Leser durchaus an bestimmten Stellen im Unklaren zu lassen und setzt auf dessen Vorstellungskraft und Interpretationsgabe. Ich bin beeindruckt, welche Tiefen die Autorin auf den gut 200 Seiten in ihrem auf den ersten Blick recht einfach strukturierten Text unterbringen konnte. Das vermeintliche Märchen wandelt sich recht bald in einen Entwicklungsroman, das gut behütete Mädchen Miyo wird nach dem Verlust des Vaters mit der harten Wirklichkeit der gesellschaftlichen Zeit und Zwänge konfrontiert und muss ohne den Schutz einer Familie erwachsen werden, während ihr von vielen Seiten Gefahr droht. Ihr Porzellangesicht soll sie vor Fairweather  schützen und gleichzeitig grenzt die Unbeweglichkeit ihrer Mimik sie von der Gesellschaft aus. Eine Gesellschaft, die gewohnt ist nach Oberflächlichkeiten zu sortieren und keine Zeit oder kein Vermögen hat, um sich mit dem jeweiligen Gegenüber wahrhaft auseinander zu setzen. Kein Wunder, dass die treuesten und ehrlichsten Begleiter von Miyo die mechanischen Charaktere der Handlung sind. Den Menschen ist in der Geschichte bis auf wenige Ausnahmen eher nicht zu trauen. Simone Keils wohlkomponiertes Buch bringt in mir ganz viele verschiedene Seiten zum Schwingen und ich verliere mich gern in den einzelnen Ebenen ihres Textes, der auf den ersten Blick einer anderen Zeit entsprungen scheint und sich dennoch merkwürdig modern und gleichsam altmodisch schaurig lesen lässt.