Rezension

Von unbekannten und unterschätzten Entdeckern

Die Chronistin der Meere -

Die Chronistin der Meere
von Patrik Svensson

Bewertet mit 5 Sternen

Patrik Svensson wuchs in einem kleinen Dorf auf, 30km vom Meer entfernt. Er widmet seine Essaysammlung seiner Mutter (1949-2021), die regelmäßig mit ihm Bücher aus der Bücherei auslieh. Seine bescheidene, leicht zu unterschätzende Mutter hatte sich vermutlich mehr vom Leben erträumt, als mit 17 das erste Kind zu bekommen. Ohne den Zufall, dass das umfangreiche Buch über die Fische des Meeres  immer wieder verlängert werden konnte, wäre sein Leben vermutlich anders verlaufen. 

Svensson verknüpft in seinen kurzen Texten das Thema Meer mit Seefahrt, Navigation, Kartografie  und allgemein mit dem menschlichen Interesse, Unbekanntes zu entdecken. Antrieb, sich auf ein Gewässer ohne Landmarken zu wagen, war neben dem Wunsch, Armut, Hunger oder Konflikten zu entkommen, das Begehren der Schätze anderer Völker (Rohstoffe, Weihrauch, Opium, Parfüm, Gewürze). Mit drei hochinteressanten Kurzbiografien widmet Svensson sein Buch jedoch auch Menschen, die wichtige Entdeckungen machten und dennoch lange unbekannt blieben: Enrique von Malakka, Robert Dick und Rachel Carson.

Am Beispiel von Magellans Sklaven Enrique von Malakka zeigt Svensson, dass  die Leistung der wahren Entdecker oft nicht gefeiert wurde, sondern sich andere den Ruhm anheften ließen. Magellans persönliche Trumpfkarte  Enrique kann stellvertretend stehen für die Logistiker, Unterhändler und Dolmetscher, ohne die internationaler Handel nicht möglich gewesen wäre. Den Entdeckern folgten Missionare und Kaufleute, aber auch Walfänger, denen der Autor ein eigenes Kapitel widmet. Bevor die Meere erforscht werden konnten, wurden sie bereits ausgebeutet. Zunächst mit Harpune und Leine, später im Tiefseebergbau.

Den Bäcker Robert Dick aus Thurso machte als Hobby-Geologe seine unstillbare Neugier glücklich. Er wünschte sich nichts anderes, als einmal mit einem Experten auf Augenhöhe zu sprechen. So ebnete er Hugh Miller mit seinem Fund eines Panzerhais den Weg zur Karriere und blieb selbst nahezu unbekannt. Rachel Carson, Vorreiterin ökologischen Denkens,  wuchs zu einer Zeit auf, als ein Studium für Frauen unpassend gehalten wurde, erst recht, wenn es sich um Naturwissenschaften handelte. Ihre wissenschaftliche Arbeit musste hinter der Versorgung ihrer verwaisten Nichten zurückstehen. Carson war vermutlich eine der ersten Frauen, die realisierte, dass ein wissenschaftlicher Text anders bewertet wird, wenn Kollegen und Rezensenten nicht ahnen, dass er von einer Frau stammt.

Patrik Svensson schreibt über den Menschen als Raubtier und verfasst die längst überfällige Geschichte der Entdeckungen mit Focus auf Personen, die unbekannt bleiben wollten oder mussten. Seine Texte sind episodenhaft erzählt und leicht lesbar. Dass seine Mutter in ihm die Liebe zum Meer weckte, der die See lebenslang bedrohlich erschien, bleibt eine unvergessliche Anekdote aus der Sachbuchwerkstatt.