Rezension

Warum Josef auf Arabisch lebte und auf Deutsch starb

Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat - Rafik Schami

Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat
von Rafik Schami

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Von außen besehen erscheint das Selbstverständliche fremd und das Fremde gewöhnlich. Ich habe vor meiner Auswanderung nie gedacht, dass ich etwas in mir trage, was je nach Blickwinkel als "Geschenk" oder als "Strafe" der Wüste betrachtet werden kann..."

Was geht in jemandem vor, der in Damaskus geboren wurde und mit 25 Jahren nach Deutschland auswandert? Wie erlebt er diese neue Heimat und die Menschen dort?

"Von außen besehen erscheint das Selbstverständliche fremd und das Fremde gewöhnlich. Ich habe vor meiner Auswanderung nie gedacht, dass ich etwas in mir trage, was je nach Blickwinkel als "Geschenk" oder als "Strafe" der Wüste betrachtet werden kann. Ich lebte unter meinesgleichen, und alle Araber tragen diese Kultur in sich, ohne darüber nachzudenken. Am Frankfurter Flughafen an jenem eiskalten 19. März 1971 merkte ich zuerst einmal, dass ich viel zu dünn angezogen war. ... Das war der erste, aber bedeutungsschwere Hinweis, dass hier das Leben anders sein würde. Von Kulturschock konnte bei mir keine Rede sein, da ich mit der europäischen Kultur, in ihrer französischen Spielart, vertraut war, aber ich spürte, dass der Fremde plötzlich zu einem Kind wird, das neu lernen muss zu gehen, um die unbekannte Welt im Tempo einer Schildkröte zu ertasten, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen. Das alles war für mich aufregend, und ich beobachtete nicht nur die Menschen um mich herum, sondern vor allem mich selbst und staunte über die Veränderungen in meinem Leben."

Rafik Schami erzählt Geschichten. Geschichten aus seinem Leben oder Geschichten, die ihm selber erzählt wurden. Vieles wird er sich auch ausgedacht haben, aber eins haben alle Geschichten gemeinsam: sie geben Einblicke in die arabische Mentalität. Liebevoll und mit einem Augenzwinkern werden die Unterschiede zwischen den Kulturen ergründet - und dabei kommt keiner zu kurz! Tatsächlich schafft Schami es als Kenner beider Kulturen (nach über 40 Jahren in Deutschland) beide Seiten objektiv zu beurteilen und über jeden nette und amüsante Dinge zu berichten. Natürlich gibt es auch kritische Bemerkungen, aber die sind – wie ich finde – so schön formuliert, dass ihm eigentlich keiner böse sein dürfte…

"So großartig Araber als Gastgeber sind, als Gäste sind sie furchtbar. Sie sagen, sie kommen zu dritt um zwölf Uhr zum Mittagessen. Um sieben Uhr abends treffen sie ein. Und vor Begeisterung über die Einladung bringen sie Nachbarn, Cousins, Tanten und Schwiegersöhne mit. Aber das bleibt ihr Geheimnis, bis sie vor der Tür stehen. Sie wollen dem Gastgeber doch eine besondere Überraschung bereiten und dessen Freude durch voreilige Anmeldung nicht schmälern."

Sehr schön auch, wenn Schami über sein Bemühen schreibt, gewisse Feinheiten der deutschen Sprache und der deutschen Umgangsformen zu begreifen:

"Auch wenn den Deutschen das Essen gar nicht schmeckt, bleiben sie sehr höflich. Sie lächeln und sagen knapp: "Interessant." Ich habe mich jahrelang gefragt, warum die Deutschen, Enkel der Dichter und Philosophen, ein Essen interessant finden. Ein Essen kann nicht interessant sein. Es ist weder eine mathematische Gleichung noch eine Naturerscheinung. Es schmeckt oder es schmeckt nicht. Ich hielt den Ausdruck für unpräzise, unbeholfen. Erst vor kurzem konnte ich diese höchst verschlüsselte Aussage dechiffrieren. Meine Güte! Die heutigen Deutschen machen ihren Vorfahren alle Ehre. Interessant - das ist eine geballte, auf ein Wort verdichtete Kritik, die die Verrisse des unbarmherzigsten Literaturkritikers wie süße Limonade wirken lässt. Sie meinen: Interessant, wie man aus wunderbaren Produkten und Ingredienzien so ein scheußliches Gericht kochen kann. Das alles steckt in diesem einen Wort."

Ich habe dieses Buch jetzt nicht zum ersten Mal gelesen. Ich stelle fest, dass ich immer wieder mal reinschaue, ein oder zwei Geschichten lese und mich freue - über Schamis wunderbare Art sich auszudrücken, mich als Leser zu unterhalten und zu amüsieren und um Verständnis zu werben für ein besseres Miteinander. Ich ertappe mich dann häufig bei dem Gedanken, dass ich mir wünsche, dass jeder eine solche Bereitschaft aufbringen würde, sich der fremden Kultur zu nähern.

Und wer Rafik Schami noch nicht kennt, hier ein paar Infos zu ihm: Geboren 1946 in Damaskus. 1971 kam er nach Deutschland, studierte Chemie und promovierte 1979. Schami lebt in Mannheim und zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet und in 25 Sprachen übersetzt. Seit 2002 ist er Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Im Sommersemester 2010 hatte er die Brüder-Grimm-Professur der Universität Kassel inne. Zudem engagiert er sich seit vielen Jahren für die Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis.