Rezension

Warum verschwand Violet Hargreaves?

Das Klippenhaus -

Das Klippenhaus
von Kerry Barrett

Bewertet mit 5 Sternen

1855: Violet lebt seit dem Tod ihrer Mutter vor 14 Jahren mit ihrem Vater alleine im Haus auf den Klippen von East Sussex. Sie liebt die Malerei, ihr Vater jedoch findet es „gewöhnlich“. Seiner Meinung nach sollte sie heiraten und das für eine Frau angedachte Leben leben. Wann immer sie kann schleicht Violet sich heimlich an den Strand um dort ihrer Leidenschaft nachzugehen. Dort lernt sie eines Tages einen Mann kennen, der sich sehr für sie und ihre Malerei interessiert: Edwin Forrest. Violet ist jung und naiv und Edwin scheint enge Verbindungen zur Künstlerszene zu haben; seine Versprechungen klingen jedenfalls sehr echt …..

2016: Für Ellas Mann Ben geht ein großer Traum in Erfüllung, als er bei einem Profi-Fußballverein in Sussex als leitender Physiotherapeut eingestellt wird. Für die Familie bedeutet das, dass sie von London nach Sussex umziehen müssen und entgegen Ellas üblicher Einstellung, niemals auch nur ein Risiko einzugehen, mieten sie spontan ein kleines Haus auf den Klippen von East Sussex. Ella ist nebenberuflich Thriller-Autorin und leidet gerade unter einer Schreibblockade. Sie hofft, in diesem wunderschön ausgebauten Zimmer auf dem Dachboden des Hauses wieder Zugang zu den Wörtern zu finden. Ben und die Kinder Oscar und Stan leben sich schnell ein, wohingegen Ella von Anfang an ein merkwürdiges Gefühl in Zusammenhang mit diesem Haus hat. Es ist nichts was sie ängstigt und sie kann es nicht wirklich erklären, es ist einfach ein Bauchgefühl, dass dieses Haus ein Geheimnis verbirgt.

In einem Wandschrank im Arbeitszimmer unter dem Dach findet Ella einige gemalte Bilder, darunter ein Selbstportrait. Handelt es sich bei der Frau auf dem Bild um die junge Violet Hargreaves? Angeblich ist Violet 1855 spurlos verschwunden und ihr Vater hat anschließend das Haus verlassen. In Ella erwacht der Jagdtrieb – und nach und nach deckt sie eine lange zurückliegende Familientragödie auf.

Die Geschichte um das Geheimnis des Klippenhauses wird in zwei Zeitebenen erzählt. Auf der einen Ebene folgen wir der 18jährigen Violet Hargreaves im Jahr 1855, auf der anderen Ella Daniels und ihrer Familie im Jahr 2016.

Ella ist eine bodenständige und sehr sympathische Frau. Es fällt mir leicht sie zu mögen. Es stehen ein paar Dinge zwischen ihr und ihrem Vater, die sie jedoch im Laufe der Zeit zu klären in der Lage ist. Sie hat viel zu lange gezögert dieses Gespräch zu führen, denn es geht um ihre Mutter, die sie schon im frühen Kindesalter an den Tod verloren hat. Ella harmoniert sehr gut mit ihrem Mann Ben und auch zu ihren Kindern hat sie ein sehr schönes Verhältnis. Sie werden als Familie dargestellt, in der man gerne leben bzw. mit der man befreundet sein möchte.

Auch Violet ist mir sehr sympathisch. Sie lebt in einer Zeit, in der Frauen ohne die Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemannes nicht das machen dürfen, was sie wollen. Ihr Vater steht ihrer Malerei ablehnend gegenüber. Aber Violet lässt sich das nicht verbieten und richtet sich (mit Hilfe des Gärtners) auf dem Dachboden ein kleines heimliches Atelier ein bzw. malt sie, so oft es sich einrichten lässt, am Strand. Dort lernt sie Edwin Frances kennen, der sie und ihre Malerei wertschätzt und sie zudem umgarnt. Ich stelle mir ganz oft die Frage, ob Edwin einen guten oder schlechten Einfluss auf das Leben von Violet hat, bzw. frage ich mich, wohin diese Reise gehen wird, denn ein paar Einzelheiten der Geschichte werden auch aus Sicht seiner Frau Frances erzählt, und diese Einzelheiten wecken in mir den Wunsch, Violet zuzurufen „pass auf Dich auf!!“.

Das Schicksal von Violet hat mich sehr berührt.

Das Buch ist in 64 Kapitel eingeteilt, die wechselweise aus der Sicht von Ella und Violet (hier manchmal auch von Edwins Ehefrau Frances) in der personalisierten Form erzählt werden. Die Print-Ausgabe umfasst 410 Seiten.

Die Autorin hat einen sehr schönen und fließenden Schreibstil – bzw. hat die Übersetzerin Sonja Fehling hier ihren Job so gut gemacht, dass es rund und fließend zu lesen ist – und ich habe in jeder freien Minute zum Buch gegriffen, weil ich wissen wollte, was mit Violet passiert ist. Leider ist es – meiner eigenen Recherche nach – das einzige Buch, welches bisher von der Autorin in deutscher Sprache erschienen ist. Das finde ich sehr schade, denn ich würde gerne noch mehr von ihr lesen.