Rezension

Was uns bleibt, ist die Erinnerung

Was uns bleibt - Katie Arnold-Ratliff

Was uns bleibt
von Katie Arnold-Ratliff

Bewertet mit 4 Sternen

Der junge Lehrer Francis Mason macht mit seinen Zweitklässlern einen Ausflug an den Strand. Als die Kinder die Leiche einer Frau entdecken, ist Francis geschockt. Obwohl er nur einen kurzen Blick auf die Tote wirft, meint er seine erste große Liebe Nora in ihr zu erkennen, die er schon lange nicht mehr gesehen hat und die ihm fortan nicht mehr aus dem Kopf geht. Statt den Kindern bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse zu helfen, lässt er sich selbst so gehen, dass ihm sein ganzes Leben entgleitet.

Obwohl sich die Handlung in der Gegenwart über mehrere Wochen hinzieht, passiert nicht viel. Das Buch lebt mehr von den Gedanken und Gefühlen des Hauptprotagonisten und Ich-Erzählers Francis Mason. Er verliert sich immer wieder in Erinnerungen an Nora, mit der er schon ewig befreundet ist, die seine Liebe aber über lange Zeit unerwidert ließ. In diesen Erinnerungen spricht Francis Nora direkt an. Dadurch kommt sie auch dem Leser näher. Diese Rückblenden fand ich sehr gewöhnungsbedürftig, denn sie sind wie auch der Rest im Präteritum geschrieben. Zusammen mit der 2. Person Singular ergibt das recht sperrige Verbformen, z.B. „du wartetest“, „du ließest“; so würde kein Mensch, den ich kenne, sprechen. Im englischen Original hört sich das sicher besser an.

Ansonsten haben mir diese Kapitel mit den Erinnerungen sehr gut gefallen, weil man in ihnen sehr viel über die Zusammenhänge erfährt. Durch das Hin- und Herspringen zwischen den verschiedenen Erzählzeiten kommt ein bisschen Leben in das Buch, was auch dringend notwendig ist, da die Stimmung durchweg bedrückt und ein bisschen melancholisch ist. Die Sätze sind klar und nüchtern, flüssig zu lesen. Trotzdem kann man dieses Buch nicht einfach mal schnell zur Entspannung lesen. Es bietet viel zu viel Stoff, über den man sich Gedanken machen muss.

In einem Punkt hat mich die Autorin gewaltig überrascht. Bisher dachte ich, für ein gelungenes Leseerlebnis brauche ich einen Protagonisten, mit dem ich mich identifizieren kann und will. Dies ist hier absolut nicht der Fall. Francis ist ein unangenehmer Zeitgenosse, der seine Mitmenschen zum Teil übel behandelt. Mit ihm will man sich nicht wirklich identifizieren. Trotzdem hat mich die Autorin dazu gebracht, mit ihm mitzufiebern, indem sie mir seine Gedanken und Gefühle sehr eindringlich geschildert hat und ich zumindest ein gewisses Maß an Mitgefühl mit ihm haben konnte.

Auch der Schluss hält noch eine Überraschung parat, die wirklich gelungen ist und das Buch perfekt abrundet. Das Ende ist ein bisschen offen, aber trotzdem oder gerade deshalb befriedigend.

Ein gelungenes Debüt dieser US-amerikanischen Autorin.