Rezension

"Wenn die Arbeit getan ist, ist es Zeit zu gehen." - Ein wunderbarer Roman

Der Garten der Abendnebel - Tan Twan Eng

Der Garten der Abendnebel
von Tan Twan Eng

Bewertet mit 5 Sternen

Teoh Yun Ling, chinesisch-stämmige Richterin in Kuala Lumpur (Malaysia) wird in den Ruhestand verabschiedet. Ihr letzer Gang führt die alleinstehende Frau zur Teeplantage der Familie Pretorius in den Cameron Highlands. Vierzig Jahre vorher hatte Yun Ling hier ihre Erlebnisse in einem Arbeitslager der Japaner zu verarbeiten versucht. Der heutige Besitzer der Plantage, Frederik Pretorius, ist der Neffe des Gründers Magnus, der Anfang des Jahrhunderts aus Südafrika in die britsche Kolonie kam, um seine Erlebnisse aus dem Burenkrieg gegen die Engländer hinter sich zu lassen. Frederik und Yun Ling merkt man ihr Alter an; es fällt beiden sichtbar schwer, den traditionellen Sitz auf dem Fußboden einzunehmen. Yun Ling läuft die Zeit davon, sie leidet an einer degenerativen Nervenerkrankung, die in kurzer Zeit zum Verlust des Gedächtnisses, der Sprache und ihrer Lesefähgikeit führen wird. Mit ihrer Argumentationsfähigkeit wird Yun Ling auch ihre berufliche Identität verlieren. Mit der Krankheit hat sie sich abgefunden, alle Diagnosen sind gestellt.

Als einzige Überlebende eines japanischen Arbeitslagers, von dem niemals Spuren gefunden werden konnten, will die pensionierte Richterin für die Nachwelt ihre Erinnerungen aufschreiben. Verbindungsstück in die Vergangenheit ist der japanische Garten, den der Japaner Aritomo anlegte. Yun Ling wollte Aritomo in den Fünfziger Jahren beauftragen, einen Garten zur Erinnerung an ihre im Lager umgekommene Schwester Yun Hong anzulegen. Aritomo, ehemaliger Gärtner des japanischen Kaisers, zeichnete niemals Entwürfe auf und gab seine Anweisungen nur mündlich weiter. Er bot Yun Ling damals an, bei ihm in die Lehre zu gehen und den Garten selbst anzulegen. Als Lehrling muss Yun Ling ihrem Meister Aritomo ihren Respekt durch tiefe Verbeugungen bezeugen. Wie stark ihr an ihrem Projekt liegt, wird deutlich, wenn man ihren Gedanken an das Verbeugen vor den verhassten japanischen Besatzern im Lager folgt.

Die ehemalige Richterin strahlt einen erstaunlichen Frieden mit sich selbst aus. Um zu erfahren, was ihr selbst in der Gefangenschaft wiederfahren ist und wie ihre Schwester ums Leben kam, muss man sich als Leser ihrem Lebenstempo anpassen. Yun Ling erzählt die Ereignisse der Gegenwart im Präsens und in der Ichform. Ihren Sprüngen in die Vergangenheit ist nicht immer leicht zu folgen. Nachdem das Geheimnis der Schwestern aus der Lagerhaft enthüllt ist, entfaltet sich eine weitere Ebene des Buches. Aritomo, der nach dem Krieg nie wieder nach Japan zurückkehrte, verschwand Jahre später in Malaysia unter ungeklärten Umständen. Wenn der Gartenkünstler beabsichtigt hatte, durch seinen Garten zu anderen zu sprechen, kann nur Yun Ling sein Werkzeug sein, um folgenden Generationen sein Erbe zu erklären. Schlüssel zur Vergangenheit ist Tominago, ein Japaner, zu dem die beiden ungewöhnlich verschlossenen Menschen während des Krieges Kontakt hatten.

Tan Twan Engs zweiter Roman (auf der Shortlist des Man Booker Prize 2012) beeindruckt durch seine ungewöhnlichen Hauptfiguren, sowie den Kontrast zwischen Kriegsgreueln der Vergangenheit und der klaren Sprache eines japanischen Gartens. Für mich verkörpert die Figur der Yun Ling über kulturelle Grenzen hinaus die Einsicht, dass traumatische Erlebnisse, die man hilflos mit ansehen muss, nachhaltiger belasten als Dinge, die einem selbst geschehen. Ein bewegender Roman voller Melancholie.