Rezension

Wenn Frauen zur Ware werden

Die Schwebfliege -

Die Schwebfliege
von Anja Gust

Bewertet mit 5 Sternen

„...ES WAR AN einem dieser verregneten, lausig kalten Aprilabende, als Hinnerk zum ersten Mal diesem Typen begegnete. Plötzlich und unerwartet stand dieser am Schmuggelstieg plötzlich vor ihm und sah ihn unmissverständlich an...“

 

Mit diesen Sätzen beginnt ein etwas anderer Krimi. Hinnerk, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stadtverwaltung von Norderstedt und begeisterte Entomologe mit einem Faible für Schwebfliegen, kommt in Kontakt mit der Halbwelt unserer Gesellschaft.

Die Autorin hat einen humorvollen und gesellschaftskritischen Krimi geschrieben. Ab und an wirkt die Geschichte leicht überspitzt. Das aber gibt ihr ein sehr eigenes Flair und hebt sie aus anderen Geschichten des Genres heraus.

Der Schriftstil passt sich dem Klientel an. Die Herren Zuhälter bedienen sich oft einer sehr eigenen Sprache, um ihren Arbeitskräften zu vermitteln, wie sie sich gefälligst zu benehmen haben. Auch unter Alkoholeinfluss ist gepflegtes Deutsch eher selten.

 

„...Das geht dich einen feuchten Kehricht an! Es wird aber sehr nachhaltig sein. Darauf kannste einen lassen...“

 

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Hinnerk hat das nötige Selbstbewusstsein, um sich mit den Vertretern der Unterwelt anzulegen und die gekonnt reinzulegen. Dabei lässt er aber kaum ein Fettnäpfchen aus.

Schnell wird deutlich, wie schwierig es für die Prostituierten ist, aus dem Geschäft auszusteigen, wenn sie den richtigen Zeitpunkt zum Absprung verpasst haben. Ein typisches Beispiel dafür ist Tatjana. Bei ihr wechseln Flucht aus dem Milieu und freiwillige Rückkehr manchmal innerhalb von Stunden. Sie ist psychisch nicht mehr in der Lage, sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Trotzdem ist sie zu erstaunlichen Aktionen fähig.

Piet Mikkelsen, genannt Bulli, ist kein unbeschriebenes Blatt. Die Behörden aber haben keine Handhabe gegen ihn. Es fehlen Beweise. Ein Grund liegt darin, dass sich zum einen Beamte von ihm schmieren lassen, zum anderen auch Politiker mit den Herren der Unterwelt kungeln – und das auf Kosten von Gesundheit und Leben der Frauen.

 

„...“Seit wann interessieren Politiker ehrliche Meinungen?“ , polterte Hinnerk überraschend scharf zurück...“

 

Wenn es den Bossen passt, werden die Frauen zwischen den Clans wie Ware gehandelt und von einem zum anderen verschoben. Bulli hat darauf eine besondere Sicht:

 

„...Selbst wenn wir unser Geld mit etwas verdienen, was ehrenhafte Leute unmoralisch nennen, gibt es ihnen noch lange nicht das Recht, uns deswegen zu verurteilen!...“

 

Hinnerk will den Sumpf trockenlegen. Dabei geht er nicht einmal ungeschickt vor. Er lernt im Milieu Cindy kennen. Die wiederum erkennt, dass Hinnerk anders ist als viele Männer. Sie kennt die Gefahren und warnt ihn.

Geschickt führt mich die Autorin zum Showdown der Geschichte. Zwischendurch wird gleihc mit geklärt, dass Recht und Gerechtigkeit in Deutschland durchaus vom gesellschaftlichen Ansehen abhängen können.

Eine Szene des Buches möchte ich besonders herausheben. Cindy, die eines Tages ganz unten ist und weint, wird von einer Nonne angesprochen. Es entwickelt sich ein feinfühliges Gespräch. Die Nonne hat schon mit Menschen im Milieu gearbeitet und traut es Cindy zu, sich daraus zu lösen. Cindy bringt ihr Problem auf den Punkt.

 

„...“...“Aber was ist, wenn manche Dinge unverzeihlich sind?“, begann Cindy sich jetzt zu winden. „Selbst wenn Gott sie verzeiht, heißt das noch lange nicht, dass man sich selbst verzeiht, oder?“...“

 

Am Ende bittet Cindy um ihren Segen.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es macht deutlich, wie es sich anfühlt, wenn Menschen zur Ware werden.