Rezension

Wenn man sich an die 1700 Seiten herantraut, erlebt man ein sprachliches Wunder

Jahrestage 1-4 - Uwe Johnson

Jahrestage 1-4
von Uwe Johnson

Bewertet mit 5 Sternen

Jahrestage beschreibt ein Jahr  im Leben der Gesine Cresspahl (vom 20. August 1967 -20. August 1968), die auch schon in Mutmaßungen über Jakob eine Rolle spielte. Johnson verbindet Gesines Gegenwart mit ihrer Vergangenheit, in dem er sie ihrer 10 Jährigen Tochter, ihre Familiengeschichte erzählen lässt. Immer wieder hört Gesine dabei auch Stimmen von Menschen die sie begleitet haben und führt mit ihnen Gespräche, was am Anfang ein wenig verwirrend ist. Nach und nach gewöhnt man sich dann aber daran.
Mit einer für mich wunderbaren Sprache verwebt Johnson geschichtliche Ereignisse mit der Handlung. Dies  wirkt nie beabsichtigt sondern zufällig und dadurch glaubwürdig. Jahrestage ist so nicht nur eine Familienchronik sondern auch ein Stück subjektive deutsche und amerikanische Geschichte, erzählt aus der Sicht eines Autors der sie erlebt hat. Wobei er sich charmanter weise selbst auch manchmal nicht allzu ernst nimmt (vor allem die Gespräche des Autors mit seiner Figur Gesine^^) 

Ein weiterer schöner Aspekt ist die Sprache. Johnson lässt gerne auch mal mecklenburgischen Dialekt sprechen der für einen Schwaben wie mich dann doch schwer zu verstehen war . *g*  Aber auch das sorgt dafür das die Figuren nicht abgehoben wirken, im Gegenteil, sie wirken so lebendig und real. Man hat immer wieder das Gefühl das man Gesine auch auf der Straße begegnen könnte. Auch Englisch sollte man ab und an verstehen können. 

Geschickt verknüpft der Autor immer wieder Fiktion, Wahrheit und seine ganz eigene Sicht der Dinge. So erlebt man auch ganz alltägliche Szenen aus dem Leben von Gesine und ihrer Tochter. Wie Marie mit ihrer Mutter Diskutiert und wie sie zu D.E. steht, dem sozusagen Verlobten ihrer Mutter. Man ist Beobachter dieser beiden Figuren und hat doch immer das Gefühl direkt dabei zu sein, wie Gesine durch New York zu ihrer Arbeit fährt, ihre TIMES liest und zwischendurch ihrer Tochter Episoden aus ihrer Kindheit erzählt. 
Johnson sorgt durch seine schöne Erzählweise dafür das einem die Figuren sehr nahe gebracht werden und das es sich um keine abgehobenen Charaktere handelt, immer wieder hat man das Gefühl diese Menschen könnte es so oder so ähnlich wirklich geben. 
Jede Figur hat eine eigene Persönlichkeit und Geschichte sodass man sich schnell in sie hineinversetzen kann. Für mich sind sie fast schon unheimlich lebendig. Die vielen Gespräche und Diskussionen scheinen aus dem Leben entnommen. 

Abschließend kann ich sagen das Jahrestage mit zu dem Besten gehört was ich dieses Jahr und überhaupt gelesen habe. Ich habe die Lektüre sehr genossen und bin schon auch ein wenig traurig Gesine wieder zu verlassen. Ich kann den Roman jedenfalls nur empfehlen! (Wenn man sich an die 1703 Seiten trauen mag.)