Rezension

Wenn Mauern sprechen könnten

Die Geister schweigen - Care Santos

Die Geister schweigen
von Care Santos

Care Santos, geboren 1970 Barcelona und vielfach ausgezeichnete Erfolgsautorin, verfügt über diesen gewissen Erzählton, der einen umfängt und einfach davonträgt. In diesem Fall nach Barcelona.

Ein geheimnisvoller Brief lockt die Kunsthistorikerin Violeta in ihre Heimatstadt zurück. Im Haus ihrer Familie, einem prachtvollen Palais, das ihr Urgroßvater errichten lies, sind Umbauarbeiten in vollem Gange. Das Palais soll endlich- dem letzten Willen ihres Großvaters Amadeo Lax entsprechend – in sein Museum umgestaltet werden und die Werke des bekannten Künstlers zur Schau stellen. Doch als die alten Mauern eingerissen sind, kommen auch bislang wohlgehüteten Familiengeheimnisse ans Licht.

Der Roman erzählt die Geschichte der Familie Lax über vier Generationen, angefangen bei den Urgroßeltern Violetas, Maria del Roser Golorons und Rodolfo Lax, deren glückliche Ehe und unternehmerisches Talent den Grundstein für den Wohlstand der Familie gelegt hat. Durch das üppige Figurenensemble gelingt ein guter Einblick in die Verhältnisse der verschiedenen Epochen.  In Erinnerung bleibt die Schilderung der unkonventionellen Maria del Roser Golorons. Ende des 19. Jahrhunderts ist sie Mitglied einer Spiritistenvereinigung, die sich jeden Mittwoch im Palais trifft und den Kontakt zu den Geistern der Toten sucht. Von deren Schwiegertochter Teresa weiß Violeta nur, dass sie in den Bürgerkriegswirren plötzlich verschwand und Sohn und Ehemann in Barcelona zurückließ. Doch stimmt die Geschichte, die man sich über sie erzählt? Violeta, die das Werk ihres Großvaters so meisterlich analysiert, wird mit den unbekannten Facetten seiner Persönlichkeit und dem Schicksal ihrer Großmutter konfrontiert.

Care Santos Roman ist eine Mischung aus nostalgischem Familienalbum und Kriminalgeschichte. Sie verbindet die verschiedenen Zeitebenen, indem sie Zeitungsartikel, E-Mails und Ausschnitte aus Kunstkatalogen mit Rückblenden verbindet. Dabei kombiniert sie historisch verbürgte Ereignisse (wie den Brand im Warenhaus Grandes Almacenes El Siglo 1932) und Persönlichkeiten (den bis heute in Barcelona als “Santet de Poblenou” verehrten Francisco Canals Ambros) mit frei erfundenen Figuren. Mein persönliches Aha-Erlebnis: Die Verweise auf die Spiritistenbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts in Spanien und vielen europäischen Ländern viele Anhänger hatte.

In der Mitte des Romans – als klar wird, wer die Absenderin der mysteriösen E-Mail ist und was sie mit der Familie Lax verbindet – da war ich kurz davor, das Buch dennoch zur Seite zu legen. Kaum sind die Geheimnisse entdeckt, werden sie wieder unter den Teppich gekehrt – die Geister schweigen, sie haben dafür noch keine Stimme gefunden.