Rezension

Wer wissen wil, wie der IS tickt, kommt an Todenhöfer nicht vorbei. Informativ

Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat' - Jürgen Todenhöfer

Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat'
von Jürgen Todenhöfer

Bewertet mit 5 Sternen

Es viel mir schwer das Buch zu lesen, warum? Es ist nun mal etwas anderes einen Roman zu lesen, in dem sehr viel über Gewalt geschrieben wird, als eine Reportage aus dem echten Leben. Als ich dann aber damit Anfing, ging alles ganz schnell. Merkwürdigerweise. Vielleicht lag es auch an den Ereignissen dieser Tage. Nizza, Türkei, Amerika, Deutschland. Tote und Verletzte all überall und irgendwie scheinbar aus denselben Gründen. Übergreifend. Angeblich religiös motiviert. Was davon übrig bleibt werden wir sehen. Wie auch beim sogenannten Putschversuch in der Türkei.
Was das mit dem Buch zu tun hat? Eine ganze Menge. Die Welt scheint sich hauptsächlich nur noch um das Thema des religiös motivierten Verbrechens zu drehen. Was aber ist wirklich religiös, was eher der vorgeschobene Grund für diese Taten?
Todenhöfer will es immer ganz genau wissen, was einerseits vielen nicht passt oder zumindest unheimlich ist, andererseits ist es gut zu wissen, dass auch die andere Seite gehört wird, um das Wieso und Warum in Erfahrung zu bringen. Auch wenn uns bei den Antworten übel wird. Es ist immer besser die Motive der Anderen zu kennen, um zu wissen, gegen was und wen man eigentlich kämpft. Sonst könnten die genutzten Waffen allesamt unwirksam sein. Todenhöfer beschreibt nicht nur die Gräuel die vom IS ausgeht, sondern auch die durch den Westen der letzten Jahrhunderte ausgeübte, die oftmals in Vergessenheit geraten ist. Damit will er mitnichten die Taten der IS entschuldigen sondern eben genau das beschreiben was es ist. In Vergessenheit geratene Kriege des Westens. Und Punkt.
Aber wie oder was ist der IS, der Islamische Staat, wer gehört dazu, wer nicht, wer ist in den Augen der Machthaber ein Abtrünniger und gehört genauso dahin gemeuchelt, wie Ungläubige oder Nichtgläubige? Todenhöfer versucht zu entwirren. Im Laufe seiner Recherchen, die auch zur Vorbereitung seiner Reise dienen, klärt er auf. Mithilfe seines Sohnes Frederic versucht Todenhöfer über soziale Medien in Kontakt mit jungen IS-Kämpfern zu kommen , um zu erfahren, woher die Motivation kommt, diesen Kampf zu bestreiten, der im Grunde nicht ihrer ist. Er will verstehen. Es sind Interviews abgedruckt, die zum Teil sehr gruselig auf einen wirken. Wir sollten uns aber fragen, warum gehen junge Menschen in den Dschihad, wandern zum Islamischen Staat aus, und wie können wir sie daran hindern. Sind es wirklich diese strengen Regeln, der unbedingte Gehorsam gegenüber einer Religion? So wirklich kann man es ihnen nicht abnehmen. Denn auf der anderen Seite prahlen sie regelrecht damit, wie hart die Sharia zuschlägt, und das für bereits geringe Vergehen. Den Feinden aber den Kopf abzuschlagen, sich Sklaven, halten um so ungebüßt körperlichen wie seelischen Missbrauch zu begehen, das soll dann vollkommen normal sein. Nein, im Grunde geht es darum, Macht ausüben zu können, Gewaltphantasien ihren freien Lauf zu lassen, und das alles ungestraft. Die Religion, der Koran, zwar schon einige hundert Jahre alt, aber von verschiedenen Strömungen unterschiedlich ausgelegt, muss dafür herhalten. Aber gerade das ist auch im Islamischen Staat, so ist es zu lesen, nicht erlaubt, wie so vieles nicht. Entweder ihr seid für unseren strickten Kurs, unsere Auffassung der Religion, denn nur diese ist die Richtige, oder ihr seid alle des Todes. Auch wenn es 150 Millionen Muslime sind, die zwar nach dem Koran leben, aber dennoch falsch, und daher sterben sollen. Alle! Christen und Andersgläubige dürfen gerne für ihren Schutz eine Abgabe zahlen und können selbstverständlich so leben wie bisher. Kein Problem.
Todenhöfer beschreibt seinen Kampf mit den Verantwortlichen um die Sicherheit während seines Aufenthaltes für ihn selbst, seinen Sohn und dessen Freund, Schutzname Malcolm. Die Interviews mit dem in Deutschland geborenen Christian E., nun mit einem arabischen Namen versehen, geben bereits einen tiefen Einblick in dessen Gedankenwelt, der des IS. Todenhöfer beharrt in diesen Gesprächen erstens auf ein Schreiben des Kalifen als Sicherheitsgarantie und zweitens macht er immer wieder klar, dass er auch unangenehme Fragen stellen wird. Warum er nun die Genehmigung bekommt zu ihnen Reisen zu dürfen, liegt wohl an seiner Glaubwürdigkeit, die der Autor in der arabischen Welt genießt; es sind Bücher von ihm in arabischer Sprache erschienen.
Die zehn Tage nun sind ein Unternehmen, dass nicht jeder Journalist so auf sich nehmen würde. Am Anfang wird er tatsächlich noch mit neuen Kämpfern, unter ihnen auch eine deutsche Frau, über die Grenze gebracht. Der Autor beschreibt nun was er erlebt, von Bewachungen, Besichtigungen, inszenierten Interviews, zum Teil gutem Essen, und der allmählichen Verschlechterung der Stimmung. Warum? Todenhöfer will Antworten auf Fragen, die er, so wie angekündigt, jedem stellt, den er fassen kann. Fragen nach der Brutalität des IS, warum öffentlich beziehungsweise in veröffentlichten Videos die Hinrichtung von Journalisten und anderen Westlichen gezeigt wird. Warum es wieder Sklavenhaltung gibt. Die Antworten, die uns da um die Ohren fliegen haben selbstverständlich einen wahren Kern, zum Beispiel gibt es doch auch die in der westlichen Welt versklavten Frauen, sie meinen Prostituierte, die entsprechende Dienste leisten müssen. Aber kann, darf das ein Grund sein jetzt ganze Völkergruppen zu töten und zu versklaven? Der IS ist dieser Meinung. Die Sharia ersetzt nun Justitia, wozu braucht man Gerichte, mit all seinen Helfern wie Anwälte und Richter, es stehen bereits alle Urteile und Strafen im Koran beschrieben. Der Hinweis Todenhöfers, dass Mohammed ein fortschrittlicher Mensch war, und wenn er jetzt leben würde, ganz andere Schwerpunkte hätte, werden vom Tisch gewischt. Warum sollte Mohammed so etwas tun? Es steht alles geschrieben und unsere Auslegung ist korrekt.
Die immer wieder gestellte Frage nach möglichen Anschlägen in Deutschland werden erst verneint, im Laufe des Aufenthaltes jedoch mit einem klaren „könnte sehr wohl sein“ beantwortet. Immer mit dem Hinweis darauf, wer sich zu den Gegnern des IS gesellt oder diese unterstützt, muss damit rechnen. Was der Autor und seine Mitreisenden erleben, erschrecken und erschüttern. Inzwischen ist auch der Film, als Reisetagebuch gedreht, im Fernsehen gezeigt worden und im Netz zugänglich.
Todenhöfer endet sein Buch mit einem offenen Brief an den Kalifen des IS, wo er seine Sichtweise über den Koran darlegt. Richtig mulmig wird einem bei dem Verdacht der drei Reisenden, dass sie in einem ihrer Begleiter einer der gefürchteten Henker zu erkennen glauben. Und am Ende wird auch Todenhöfer mit dem Tod bedroht, sollte er jemals nach dieser Reise gefunden werden, denn die Sicherheitsgarantie des Kalifen gilt nun nicht mehr.
Eindringliche Beschreibung der Umstände, ein Schreibstil, der es einem trotzdem leicht macht es zu lesen, bei schwer verdaulicher Kost.