Rezension

Wie der Veteranentag entstand

Wake -

Wake
von Anna Hope

Bewertet mit 3 Sternen

Zu gewollt - hat mich kaum erreicht: Kriegsfastfood.

“Fünf Tage im November“ oder „Abgesang“, der Roman wird unter beiden Titeln gelistet, ist in die fünftägige Überführung eines unbekannten Soldaten aus Flandern nach London getaktet und begündete dadurch 1920 den Veterans Day, früher Armistice Day genannt, der am 11. November eines jeden Jahres in Great Britain begangen wird. Am Sonntag nach dem 11. November feiert man Remembrance Day. Dies enthüllt sich erst nach und nach und ein wenig muss man bei Wiki forsten - falls man weder Brite noch british fan ist. Es gibt ja Deutsche, die britischer sind als die Briten selbst - die wissen das auswendig.
Man sollte an der Sinnhaftigkeit derartiger Gesten und großartiger Kriegsgedenktage zweifeln. Die Toten hätten mehr davon gehabt, weiterleben zu dürfen. Und Kriege bedeuten jede Menge Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vielleicht sollte man auch einen Tag haben, an denen man die Kriegsverbrechen, begangen durch dieselben Soldaten, beklagt und beweint. Wie sagt einer der Protagonisten von Anna Hope „Es ist der Krieg, der gewinnt, er gewinnt immer, es gibt keine Sieger." Am Beispiel dreier Protagonistinnen führt Anna Hope ihren Lesern vor, was Krieg für die Bevölkerung bedeutet. 

Der Kommentar und das Leseerlebnis: 
Der Roman hat mich aufgebracht. Muss man heute noch solche Romane schreiben und das Leid unzähliger Menschen dermaßen ausschlachten? Gibt es nicht genug Material zum Ersten und Zweiten Weltkrieg? Gibt es ohne Frage. Was man aber nicht vergessen darf, ist, dass die jungen Generationen nicht mehr vertraut sind mit den bekannten Werken der Antikriegsautoren von früher, angefangen von Erich Maria Remarque (Im Westen nichts Neues), Ernest Hemingway (Wem die Stunde schlägt und In einem anderen Land), Johannes Mario Simmel (Lieb Vaterland magst ruhig sein), etc. etc. Und die Perspektive Großbritanniens ist natürlich auch einmal reizvoll. Insofern ist es womöglich okidoki, das ehemalige Kriegsgeschehen wieder vor Augen zu führen. Die Struktur des Romans ist nichts Ungewöhnliches, aber durchdacht.
Trotzdem: ich habe ein ungutes Gefühl beim Lesen; ich spüre weniger die Betroffenheit des Romans und das Motiv der Ausbeutung scheint mir näher zu liegen als alles andere. Gut, es ist und bleibt ein subjektiver Eindruck. Bei Richard Flanagans „Der schmale Pfad durchs Hinterland“, war ich betroffen, bei Anna Hopes „Abgesang“ bin ich abgestoßen. Woher kommt es? Ich kann den Finger nicht in die Wunde legen, aber ich habe den Einruck, dass Anna Hopes Figuren (zu) erfunden sind, nicht authentisch, sie leiden nicht. Ich leide nicht. Möglicherweise werden zu viele Klischees bedient. 

Die Schreibweise und die Figuren sind so halbwegs gelungen; es wird zu gefällig geschrieben mit vielen Phrasen, die Figuren plakativ mit wenig Innenleben gehen nicht unter die Haut. Ein aufzuspürendes schreckliches Geheimnis ist per se schon klischeeverdächtig. Und dann noch der englische blasierte Gentleman der Oberschicht, vom Adel. Really?
Die wirklich spannende Auseinandersetzung mit den Kriegsstrukturen, der Hierarchie auf der einen Seite, der Politik auf der anderen Seite und den inneren Strukuren, das heißt die Auseinandersetzung mit dem Gewissen und der menschlichen Ethik, die jeder einzelne vertreten muss, wird durchaus ansgesprochen, kommt aber nicht wirklich zum Tragen, ausdiskutiert und durchdacht wird hier nichts. Historischer, poliitscher Hintergrund des Ersten Weltkriegs – Ebbe. Musste dieser Krieg geführt werden? Yes. No. Nichts.

Fazit: Mich hats gelangweilt, weil das, was wirklich wichtig gewesen wäre, nämlich die Auseinandersetzung um die Kette: Zwang- Befehl -Hierarchie- Widerstand- Freiheit- Schuld nicht geführt wird, statt dessen wird eine mehr oder weniger schwülstige Geschichte dreier Frauen verkauft. Um der Komposition willen, verleihe ich drei Sterne. Der Roman ist nicht ganz schlecht, aber beileibe nicht gut: Kriegsfastfood.

Kategorie: Unterhaltung. Kriegsfastfood.
Verlag: Kindler, 2014