Rezension

Wie er.

Gleisdreieck - Jörg Ulbert, Jörg Mailliet

Gleisdreieck
von Jörg Ulbert Jörg Mailliet

Bewertet mit 5 Sternen

„Das heißt, dass Sie Ihre neuen Freunde dazu bringen müssen, nicht nur zu plappern, sondern zur Tat zu schreiten. Das verschafft Ihnen Glaubwürdigkeit und öffnet Ihnen vielleicht den Weg zu Heerleut. - Das ist gegen die Vorschriften. Ich darf auf keinen Fall zu Straftaten anstiften. - Sie werden das schon diskret genug anstellen. Und es muss ja auch nicht jede Einzelheit in Ihren Berichten auftauchen.“

Vorab ein paar erklärende Worte. Die Bewegung 2. Juni war eine in den 1970er Jahren aktive terroristische Vereinigung. Benannt hatte sich die Bewegung nach dem Todestag des am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. Auf das Konto der Bewegung gingen diverse Sprengstoffanschläge, Banküberfälle und Entführungen. Ein populäres Entführungsopfer war im Jahr 1975 der CDU-Spitzenkandidat Peter Lorenz. Am 2. Juni 1980 erklärte ein Teil der Bewegung ihre Selbstauflösung und schloss sich der RAF an. Andere tauchten in der DDR unter und wieder andere Mitglieder dementierten die Auflösung und beschlossen, in kleineren Gruppen weiterzuarbeiten.

 

Die Geschichte dieses Buchs spielt im Berlin des Jahres 1981. In eine dieser kleineren Gruppen schleust sich ein verdeckter Ermittler namens Otto ein. Er hat den Auftrag, den Terroristen Martin Heerleut zu finden. Dieser ist dabei, Gleichgesinnte zu neuen Aktionen zu motivieren. Das Einschleusen verläuft überaus erfolgreich und bald schon ist Otto Mitglied der Bewegung. Diese Mitgliedschaft stellt ihn schnell vor persönliche Probleme, denn sowohl seine neuen Freunde als auch seine Auftraggeber erwarten bestimmte Aktivitäten von ihm.

 

Diese Graphic Novel hat mich wieder voll überzeugt! Sowohl der Texter als auch der Zeichner haben es wunderbar geschafft, Atmosphäre und Gegensätze im damaligen Berlin rüberzubringen. Schon auf den ersten Seiten zeigen sich die gravierenden Unterschiede zwischen moderner Großstadt, in der das Leben pulsiert, einerseits und heruntergekommenen Wohnvierteln andererseits. Die Zeichnungen sind sehr detailreich und durchgehend gut erkennbar (was nicht bei jeder Graphic Novel der Fall ist) Einige Bilder wirkten in ihrer Abfolge so dermaßen eindringlich auf mich, dass ich sie mir immer wieder ansah. Ein Beispiel hierzu: Auf einem Platz sieht man eine friedliche Kundgebung. Die Sonne scheint, die Leute stehen friedlich beieinander oder schlendern über den Platz. Am Straßenrand stehen mehrere Mannschaftswagen der Polizei. Die Beamten lehnen genau so entspannt an den Wagen, unterhalten sich und schenken dem Geschehen auf dem Platz nicht mal einen Blick. Dann blättert man um…

 

… und sieht denselben Platz. Es ist dunkel und im Schein von Suchscheinwerfern sieht man gewalttägige Auseinandersetzungen. Man sieht Brände, Demonstranten, die einen Polizeiwagen umwerfen und Polizisten, die auf Demonstranten einprügeln. Wahnsinn, wie aus einem friedlichen Vorgang so viel Gewalt entstehen kann! Diese Bilder haben einen sehr intensiven Eindruck bei mir hinterlassen!

 

Und dann die Texte… Erzählt wird aus der Perspektive von Otto, dem Polizisten. Wie er sich zunächst planmäßig in die linke Szene einbringt, keine Demo auslässt und Verhaftungen in Kauf nimmt zugunsten der Glaubwürdigkeit. Wie er sich für die gleichen Studienfächer einschreibt und bei dem gleichen Taxiunternehmen einen Job annimmt „wie er“, der Terrorist, in dessen Kreise er gelangen soll. Wie er es dann irgendwann geschafft hat und nun damit konfrontiert wird, dass sowohl seine neuen Freunde als auch seine eigenen Hintermänner von ihm eine aktive Beteiligung erwarten. Ein Textzitat dazu habe ich als Einleitung gewählt, aber manchmal reichten auch einzelne Worte, um mir die Stimmung oder Ottos Gefühle zu vermitteln.

 

Ohnehin finde ich dieses Stück deutscher Geschichte sehr interessant. Es wurden reichlich dazu gehörende Themen berührt, wie beispielsweise die Hausbesetzungen oder die Haltung der DDR gegenüber westlichen Linksextremen. Im Anhang gibt es einige Erläuterungen zu dieser Zeit, die zum Verständnis hilfreich sein können.

 

Fazit: Ein spannendes Stück deutscher Geschichte toll umgesetzt. Werde ich sicher noch öfter reinschauen.