Rezension

Wie Fastfood weltweit gesunde Ernährung verdrängt

Über den Tellerrand -

Über den Tellerrand
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Bewertet mit 4.5 Sternen

Vorgestellt werden Kinder aus verschiedenen Ländern und Lebensverhältnissen auf jeweils einer Doppelseite. Ein Text beschreibt ihre Familiensituation und ihre persönlichen Ziele, ein Übersichtsfoto zeigt die Mahlzeiten einer Woche. Die Fotos allein machen neugierig darauf, welche Lebensmittel abgebildet sind und ob der Betrachter selbst sie schon einmal probiert hat. Bereits die Kleidung der Kinder erzählt über ihre Kultur, Religion, ihr Schulsystem und welche Idole das abgebildete Kind haben könnte. Die jungen Fotomodelle sind zwischen 6 und 16 Jahre alt. Auffällig viele der Eltern üben Berufe im Bereich der Ernährung aus, wie z. B. der Vater von Altaf Bin Roni  aus Malaysia (auf dem Titelbild), der an einem Ess-Stand Satay-Spieße verkauft.  

Bilder und Texte zusammen zeigen eine globalisierte Welt, in der häufig mehrere Völker eine Nation bilden und in der Einwanderer in ihre traditionelle Ernährung  die (nicht unbedingt gesunde) Ernährungsweise des Gastlandes integrieren. Brasilien, USA, Malaysia, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen hier beispielhaft für die Vielfalt aus traditioneller und industriell produzierter Ernährung. Auch Deutschland, Italien, Frankreich und Senegal sind Herkunftsländer der Kinder, die Texte über die deutschen Kinder fallen eher schwach aus. Der jeweilige Text zum Foto vermittelt deutlich Widersprüche des Themas Ernährung. Wer täglich auswärts isst, hat es schwerer, sich gesund zu ernähren; Take-Away-Verpackungen weisen auf das Problem hin. Plastikflaschen zeigen auf, dass nicht alle Kulturen sauberes Trinkwasser zur Verfügung haben. Auch in anderen Ländern mögen Kinder nicht unbedingt, was die Mensa anbietet oder was Erwachsene für gesund halten. So hat eine amerikanische Familie einen eigenen Gemüsegarten und Hühner, das Kind lebt jedoch von Toastbrot, Bacon, Würstchen und Popcorn. Abwechslungsreiche  Ernährung muss nicht teuer sein, niemand zwingt jedoch wohlhabendere Familien, sich von Fertiggerichten zu ernähren. Interessant wäre hier die Frage gewesen, wie viel Prozent ihres Einkommens Familien in verschiedenen Ländern für Nahrungsmittel ausgeben. Nicht alle abgebildeten Kinder werden jeden Tag satt. Das sichtbare Unter- oder Übergewicht mit der Ernährung zu begründen, scheint mir etwas zu populistisch; zumal Gregg Segal im Nachwort verdeutlicht, dass Junkfood sich stets im Windschatten von Werbung im Alltag breitmachte.

Der Fotograf Gregg Segal stieß während eines konsumkritischen Foto-Projekts über Müll auf das Thema Ernährung. Beim ersten Durchblättern seines Buchs fragte ich mich ebenfalls, wo der Verpackungsmüll der abgebildeten Mahlzeiten geblieben ist und welche Familien wohl mit ihrer Ernährungsweise einen günstigen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Die Arbeit an diesem Buch wurde durch eine Kickstarter-Kampagne unterstützt und begann damit, dass Segal seinen Sohn und dessen Freunde fotografierte. Ihm liegt deutlich daran, die Verdrängung regionaler, ökologisch sinnvoller Ernährungsweisen in aller Welt  durch Fastfood und Süßigkeiten aufzuzeigen und die darauf folgende Zunahme von Zivilisationskrankheiten bei Kindern. Zum Vergleich, wie verschieden die Lebensbedingungen innerhalb einzelner Länder (z. B. Malaysia, Brasilien) sein können, wäre ein Register der Nationen hilfreich gewesen.

Da für die Zielgruppe ab 8 Jahren Kenntnisse über andere Länder vorausgesetzt werden und einige Zusammenhänge sich in den Begleittexten verstecken, ist eine Begleitung des Buchs durch Erwachsene sinnvoll, wie z. B. in  Ernährungsprojekten.