Rezension

Wie gewonnen...

Die Legende vom heiligen Trinker -

Die Legende vom heiligen Trinker
von Joseph Roth

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der alkoholkranke Joseph Roth nimmt in dieser seiner letzten Erzählung seinen eigenen Tod poetisch vorweg. Melancholisch und gelassen...

Paris, 1934: Durch eigenes Verschulden ist Andreas Kartak auf der Straße gelandet und schläft von nun an unter den Brücken der Seine. Als ihm eines Tages ein Fremder 200 Franc leiht, verpflichtet sich Andreas – ein Mann von Ehre –, diesen Betrag wieder zurückzugeben. Doch anstatt seinem Vorsatz nachzukommen, vertrinkt er das Geld. Getrieben von schlechtem Gewissen verdient er es durch ehrliche Arbeit erneut, aber auch dieses Mal vertrinkt er das Geld erneut. Doch Andreas scheint das Glück gepachtet zu haben, denn die Wunder häufen sich – aber wie lange kann das Glück wirklich anhalten? (Verlagsbeschreibung)

Zum Thema "Legende" meint Wikipedia: "Die Legende ist eine mit dem Märchen und der Sage verwandte Textsorte bzw. literarische Gattung, in der historische Ereignisse durch spätere Hinzufügungen überhöht oder verfälscht wurden. Legenden haben meist wie Sagen einen wahren Kern, der fantastisch ausgeschmückt wird." Tatsächlich erinnert der letzte Text des Schriftstellers Joseph Roth (bekannt durch Romane wie "Hiob" oder auch "Radetzkymarsch") an ein Märchen. Und zwar an das vom "Hans im Glück" - nur deutlich melancholischer.

Wie "Hans im Glück" wirkt der Antiheld Andreas recht naiv und kann das Gute, das im widerfährt, nicht festhalten. Eines Tages begenet ihm unter einer der Seinebrücken, wo er als Clochard lebt, ein gutsituierter Herr, der ihm einfach so 200 Francs überlässt. Andreas ist erstaunt und erfreut, will das Geld jedoch eines Tages zurückzahlen, weshalb der reiche Herr vorschlägt, dass er es dann der heiligen Therese von Lisieux spenden soll in der Ste Marie des Batignolles. 

Trotz des festen Vorsatzes von Andreas will diese Spende jedoch einfach nicht gelingen. Er vertrinkt das Geld, verdient es sich durch harte Arbeit wieder, gibt es erneut mit vollen Händen aus, findet eine stattliche Summe Geldes, wird über den Tisch gezogen, wieder geschieht ein Wunder... Andreas lebt in den Tag hinein, ob er nun Geld hat oder nicht - und wenn es weg ist, ist es eben so. Gutgläubig und schicksalsergeben ist dieser Andreas, was geschieht, das geschieht eben, und man muss das Beste daraus machen. Auch wenn er weiter an sein Wunder glaubt. Doch wie lange kann das gutgehen?

Der Schreibstil wirkt leichtfüßig und besticht durch seine altertümliche und gelassene Art des Erzählens, was mir außerordentlich gut gefiel und mich gleich in die Geschichte zog. Doch trotz der vermeintlichen Leichtigkeit durchzieht ein melancholischer Ton die Erzählung, was nicht Wunder nimmt, denn der alkoholkranke Joseph Roth nimmt in dieser seiner letzten Erzählung im Grunde seinen eigenen Tod (mit gerade einmal 44 Jahren) poetisch vorweg. Im informativen Nachwort wird zudem darauf hingewiesen, dass der mysteriöse gutsituierte Herr auch einem Vorbild in Roths Leben entspricht: "Denn der wohlgekleidete, ebenfalls heimatlose Herr ist ihm vielfach begegnet. Und jedes Mal hat er dem Trinker Joseph Roth 200 Francs zugesteckt. Sein Name (...) ist Stefan Zweig." (S. 97f.)

Eine leise Erzählung, die mich trotz ihres märchenhaften und damit distanzierten Anstrichs auch berühren konnte. Und die mich nun neugierig gemacht hat auf weitere Werke von Joseph  Roth...

 

© Parden