Rezension

"Wir kommen" - Großartiges Debüt

Wir kommen - Ronja von Rönne

Wir kommen
von Ronja von Rönne

Bewertet mit 4.5 Sternen

Dass es Ronja von Rönnes Debüt „Wir kommen“ bei den Kritikern schwer haben würde, war abzusehen. Man könnte fast behaupte, dass viele Urteile schon vor der Lektüre feststanden. Statt auf den Text zu schauen, tendiert man dazu die Autorin, den Verlag und die junge Gegenwartsliteratur zu geißeln. Dabei hat der Roman viel zu bieten, auch ohne großen Plot.

Natürlich kann man Rönnes Autorinszenierung hinterfragen. Über einen Shitstorm aufgrund ihres Artikels über den Antifeminismus bis hin zur Lesung beim Bachmann-Preis – die Autorin weiß sich zu inszenieren, besonders in ihren Blogbeiträgen auf Sudelheft und ihren Schriften in der Welt. Das ist nicht schlimm, das gehört dazu, es unterhält. Eklig dagegen ist, wie sich der Literaturbetrieb Rönne annimmt. Mal geht man auf Abstand, mal wird hoch gelobt. Es scheint, als würden sich alle auf die junge Autorin stürzen, im Guten wie im Bösen. Der Literaturbetrieb als lüsterner alter Greis, der nicht genug bekommt von der jungen Autorin, aber gleichzeitig weit über ihr stehen will.

Aber dies alles spielt keine Rolle. Zunächst sollte es nur um den Text gehen und alle anderen Störfaktoren sollten ausgeblendet, alle Vorurteile beiseite geräumt werden. Um was geht es also in dem Roman?

Nora wird geplagt von Panikattacken und Depressionen. Leonie schlägt ihren Kopf an die Wand, wenn sie nicht mehr klar kommt. Karl ist permanent unglücklich, will es aber nicht wahrhaben. Jonas weist passiv-aggressive Tendenzen auf. Und wäre das nicht schon genug, führen die vier Protagonisten des Romans eine offene Beziehung untereinander, die zusätzlich für Sprengstoff sorgt, obwohl sie eigentlich Rückhalt geben soll. Als es eines Tages alles zu viel wird, packen sie ihre Sachen und fahren in Karls Haus am Meer. Man verspricht sich eine Rehabilitierung, eine Besserung der Umstände – aber ist dies überhaupt möglich?

Einen wirklichen Plot gibt es in der Geschichte nicht. (Muss es auch nicht. Es gibt genug Beispiele von guten Werken ohne Plot in der Literaturgeschichte.) Wer sich darüber aufregt, hat den Text nicht verstanden. Denn bereits am Anfang wird klar, was der Roman eigentlich ist: eine Art Tagebuch. Noras Psychologe gibt ihr ein Notizbuch und bittet sie Tagebuch zu führen. Das Notizbuch ist blau-gelb und hat ein Streichholz als Motiv. Eben wie es auch der Roman hat. Unter dieser Prämisse liest sich der Text gleich völlig anders – es bedarf keines Plots. Die Sprünge in die Vergangenheit, das Sich-im-Kreis-Drehen, das Nicht-voran-Kommen, das Abtriften der Gedanken – all dies erklärt sich plötzlich und macht den Roman zu einer interessanten Collage der Gedankengänge einer jungen Frau, die sich auf der Suche nach Halt verlaufen hat.

Zudem lebt der Text von seinen Ideen, vor allem auf sprachlicher Ebene. Mit viel Wortwitz und Situationskomik beschreibt und analysiert die Protagonisten Nora ihre Welt und ihre Mitmenschen: „Weihnachten ist, wenn Papa das WLan ausmacht“. Über allem schwebt dabei ein leicht melancholischer Grundton – die Figuren agieren oft teilnahmslos und abgestumpft. Jeder braucht Hilfe – Jeder will vermeintlich helfen – aber alle kämpfen für sich allein, sind gefangen in ihrer Emotionslosigkeit. Noras in kurzen Rückblenden erzählte Vergangenheit, bei der es vor allem um ihre Jugendfreundin Maja geht, sind besonders bemerkenswert. Hier, wie aber auch im gesamten Roman, tun sich viele Leerstellen und Abgründe auf. Es fällt erheblich schwer mit den Figuren zu sympathisieren, aber der Zugang zum Text erschließt sich vor allem über eben diese Leerstellen, die den Leser nachdenklich machen über die Handlungen und Gedankengänge der einzelnen Protagonisten.

Mit dem Roman ist Ronja von Rönne bei ihren Stärken geblieben. Der Ton ihrer Blogs und Artikel spiegelt sich auch in „Wir kommen“ wider. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Autorin nicht unterkriegen lässt von den stürmischen Winden, die ihr zurzeit um die Nase wehen. Denn wenn der Text eins beweist, dann das Potential, das in der jungen Autorin steckt. Es wäre interessant zu sehen, welchen Weg Rönne geht und wie sie ihre Schreibweise weiterentwickeln kann, auch in Bezug auf andersartige Themen. Der Werdegang der Autorin steht genauso offen, wie das Ende des Romans.