Rezension

Wo bleibt die Menschlichkeit?

Haus der Schildkröten - Annette Pehnt

Haus der Schildkröten
von Annette Pehnt

Bewertet mit 5 Sternen

Welch eine trostlose Geschichte! Sie spielt im Altenheim 'Haus Ulmen', in dem so gut wie alle BewohnerInnen nur darauf zu warten scheinen, dass der alte Tag vergeht und ein neuer anbricht. Die (vermutlich nach einem Schlaganfall) fast völlig gelähmte Frau von Kanter und der unter starker Demenz leidende Professor Sander bekommen jeden Dienstag Besuch von ihren Kindern, wobei es sich jedoch wie in den meisten anderen Fällen auch eher um eine Pflichtübung handelt: "Die Besucher werfen rasch noch einen Blick auf die Uhr, damit sie wissen, wann sie wieder gehen dürfen, zwei Stündchen sollten es schon sein, das gehört sich so." Regina von Kanter fühlt sich unwohl in der Gegenwart ihrer Mutter, die wohl zeit ihres aktiven Lebens immer versuchte, das Dasein ihrer Tochter zu dominieren. Und Ernst Sander kann die immer stärker schwindende Existenz seines einst gelehrten Vaters nicht akzeptieren - als ob dieser sich weigern würde, sich gegen seinen Verfall zur Wehr zu setzen.
Doch das eigentlich Untröstliche dieses Buches ist die fast völlige Lieblosigkeit und die fehlende Hingabe, die das Leben beinahe aller Handelnden prägt. Bis auf Maik, einen der Altenpfleger, erledigt man seinen Job, wobei die alten Menschen nur selten als Individuum wahrgenommen werden, sondern lediglich als Objekt der täglichen Arbeit. Maiks Aufmerksamkeit und Interesse für die einzelnen Menschen ist derart besonders, dass er prompt eine bessere Stelle in einem anderen Heim angeboten bekommt, wo so etwas auch entsprechend honoriert wird. Doch auch die sonstigen zwischenmenschlichen Beziehungen sind geprägt von Angst, Gleichgültigkeit und/oder Desinteresse: Gabriele, eine Altenpflegerin, kann mit niemandem über ihre Arbeit reden - wird es ihrem Mann zuviel mit dem "Geflenne", verschwindet er in die Kneipe. Reginas Mutter gönnt ihrer Tochter nicht ihren Urlaub mit einem neuen Mann und steigert sich bei deren Rückkehr in einen Anfall hinein. Regina selbst hat zuviel Angst sich zu sehr auf eine neue Liebe einzulassen. Und die zarten Liebesbande einer Heimbewohnerin mit ihrem Zimmernachbarn sollen unterbunden werden, weil "...irgendwo hört es doch auf, wie die Kaninchen, das ist doch unappetitlich in dem Alter...".
Wieso man etwas derart Trostloses dennoch lesen sollte? Vielleicht um sich darüber klar zu werden, wie man sein Leben NICHT führen sollte.