Rezension

Wo geht das Licht hin...

Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist -

Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist
von Nadine Olonetzky

Bewertet mit 4 Sternen

Nadine Olonetzky hat sich in ihrem Roman „Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist“ mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt. Ihr Großvater Moritz kam in einem Konzentrationslager ums Leben, ihrem Vater Emil gelang 1943 die Flucht in die Schweiz.

Eigentlich wäre das schon Stoff genug für einen Roman. Aber ihr Vater hat Nadine Olonetzky nur einmal, auf einer Parkbank, seine Geschichte erzählt. Kaum genug, um einen Roman zu füllen. Doch als sie im Jahr 2020 auf Unterlagen der Anträge zur Entschädigung stieß, begann Nadine Olonetzky die Geschichte ihres Großvaters und ihres Vaters zu rekonstruieren und besuchte auch die Orte ihrer Vergangenheit.

So ist „Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist“ letztlich auch ein Bericht über die Detektivarbeit, aus rund 2500 Seiten an Dokumenten eine Lebensgeschichte zu rekonstruieren. Freilich bleiben viele Lücken, Unklarheiten und Ungenauigkeiten, auch Widersprüche.

Von der Gestapo verhaftet, wurde ihr Großvater Moritz am 26.4.1942 von Stuttgart nach Izbica deportiert, ein Konzentrationslager oder „Transitghetto“ bei Lublin, 300 Kilometer entfernt von Treblinka. Dort kam er vermutlich im gleichen Jahr zu Tode. Ihrem Vater Emil gelang jedoch 1943 auf abenteuerliche Weise mit gefälschten Papieren die Flucht in die Schweiz.

Zur Fluchtgeschichte kommt immer wieder die Auseinandersetzung mit dem Vater. Der Vater, der alles fotografierte, festhalten wollte. Der allen seinen Ehefrauen untreu war. Der häufig Wutausbrüche hatte. Der fünf Jahr lang nicht mehr mit seiner Tochter redete, sagte sie sei für ihn gestorben.

Und: Der Vater, der sich taufen ließ. Die Tochter wusste nichts davon:

Wie bitte? Mein Vater ließ sich taufen? Das erfahre ich erst jetzt aus den Dokumenten.

Dies gehört zu den Lücken, die bleiben. Warum er vom Judentum zum Christentum konvertierte und vor allem: warum er das seiner Familie nie erzählte, darauf hat Nadine Olonetzky keine Antwort.

Die Familiengeschichte ist das eine, das die Autorin erzählt. Das andere ist die Geschichte des 20 Jahre andauernden Kampfs um Wiedergutmachung. Ein Stück Nachkriegsgeschichte. Ausführlichst zitiert Nadine Olonetzky aus der Korrespondenz zwischen ihrem Vater bzw. dessen Rechtsanwälten und dem Landesamt für Wiedergutmachung.

„Schaden an wirtschaftlichem Fortkommen“, „Ausbildungsschaden“, „Schaden an Freiheit“, „Schaden im beruflichen Fortkommen“: So klingt Verfolgung im Juristendeutsch. 24 Jahre lang führte Emil Olonetzky den Schriftverkehr für Wiedergutmachung für sich und seinen Vater. Da ist seine Tochter Nadine stolz, stolz und verwundert. Auch das, dass er für Entschädigung so lange kämpfte, wusste seine Tochter nicht. Erst 2020 hat sie die Unterlagen entdeckt – der Anlass, sich intensiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen. 17000 Deutsche Mark bekam Emil Olonetzky schließlich als Entschädigung, natürlich unterteilt in die unterschiedlichen „Schadenskategorien“. 3816 Mark. Für die Anwälte, vermutet die Tochter, habe der Vater ein Mehrfaches ausgegeben. Rückblickend urteilt sie:

Dass mein Vater so sehr für das bisschen Entschädigung kämpfen musste, zerreißt mir heute das Herz. Dass er einfach nicht aufhören konnte, wie unglaublich stark war das. Wie verbissen und wie demütigend auch.

Insgesamt hat Nadine Olonetzky aber etwas zu viel in ihr Buch hineingepackt. Aktuelle Bezüge zum Ukraine-Krieg liegen zwar nah, führen aber doch eher vom Eigentlichen Weg. Die eingerückten Teile über den Garten wirken sehr befremdlich – auch wenn am Anfang des Buches darauf hingewiesen ist, dass „die tröstende Kraft eines Gartens im Jahreslauf“ für alle da sei, die die Geschichte lesen. Für Pausen beim Lesen braucht es keinen beschriebenen Garten.

Auch wenn die Autorin ins Poetische übergeht, schießt sie sprachlich über das Ziel hinaus, wenn zum Beispiel von der Erinnerung als Skelette, die in der Erde stehen, geschrieben ist. Oder wenn sie sich zu Aufzählungen hinreißen lässt.

So schreibt sie über das verkohlte Holz der Stuttgarter Synagoge:

Wie viele Schwarz gibt es? Schwarz wie Trauerkleidung, wie die Rabenkrähen, die im Garten landen. Schwarz wie das Fell meiner Lieblingskatze. Schwarz wie die Dunkelkammer, bevor das rote Licht aufflammt. Schwarz wie das Schwarze Meer? Schwarz wie Pech. Schwarz wie schwarzer Humor.

Andere, wiederkehrende Motive überzeugen dagegen, wie etwa die Parkbank, auf der der Vater der 15-jährigen Nadine seine Geschichte erzählte. Oder der Verweis auf Zlatek die Ziege.

Fazit: Gerade weil man über die Entschädigungs-Prozedur so wenig weiß, ist das Buch so spannend, wenn auch die behördlichen Briefwechsel sehr ernüchternd sind.