Rezension

Wohltuend unsentimental

Dann schlaf auch du - Leïla Slimani

Dann schlaf auch du
von Leila Slimani

Mutig und stark in seiner Trostlosigkeit. Liebhaber weichgespülter Feel-good-Romane mit Happy End sollten die Finger davon lassen.

Was ist das Gegenteil eines Happy Ends? Ein desaströser Anfang; und desaströser als der Anfang von "Dann schlaf auch du" geht's wohl kaum: "Das Baby ist tot" lautet der erste Satz, der zugleich das Ende der Geschichte ist; einer Geschichte, die sich auf die Suche nach den Ursachen eines doppelten Kindsmordes durch die Nanny begibt. Es ist kein Spoiler, das hier zu schreiben, denn schon auf der ersten Seite ist klar, dass nicht nur das Baby bereits tot ist, sondern auch das zweite Kind nicht überleben wird und dass die Nanny die beiden auf dem Gewissen hat.

"Dann schlaf auch du" ist also kein Krimi, der einen Mörder sucht. Die Mörderin steht von Anfang an fest; bleibt nur noch die Frage, wie es zu dieser grauenerregenden Situation kommen konnte.

Myriam und Paul haben zwei Kinder - Mila und Adam. Mila kam überraschend, aber Myriam widmet sich ihr ganz und gar und gibt ihre vielversprechende Karriere für sie auf. Adam schummelt sie dann sogar rein, um noch länger zu Hause bleiben zu können. Aber allmählich beginnen das Hausfrauen-Dasein und ein Leben, das sich nur um die Kinder dreht, an ihren Nerven zu zehren. Als sie einen alten Studienkollegen wiedertrifft und er ihr einen Job anbietet, greift Myriam begierig zu. Obwohl es sich finanziell nicht lohnt, entschließen sich Myriam und Paul, eine Nanny zu engagieren, damit Myriam in den Beruf zurückkehren kann. Sie haben Glück und finden die tadellose Louise, die sich nicht nur zuverlässig um die Kinder kümmert, sondern auch aufräumt, putzt und exzellent kocht - so exzellent, dass das Ehepaar sogar wieder anfängt, Freunde einzuladen, die sie mit Louises Gerichten bewirten.

Myriam und Paul gehen so in ihren Karrieren auf, dass es ihnen wohl gar nicht auffällt, dass Louise gar kein Privatleben zu haben scheint. Nie beschwert sie sich, wenn es abends spät wird und sie länger bleiben muss, nie verlangt sie mehr Geld. Sie hält Myriams und Pauls Welt in Ordnung, und sie nehmen es dankbar an und stellen keine Fragen, wie sie das alles schafft und was sie davon hat.

Nach und nach erfährt man, dass Louise tatsächlich so gut wie kein Privatleben hat und sogar eine überaus sorgenvolle Vergangenheit. Für sie ist die Stelle bei Myriam und Paul mehr als nur ein Job - es ist ihre Flucht aus ihrem trostlosen Leben, und sie wird immer abhängiger davon, macht freiwillig Überstunden und fürchtet die Ferienzeiten, wenn sie nicht gebraucht wird.

Wie Louise allmählich kippt, wie es letztlich zu dem eingangs beschriebenen Mord an ihren beiden Schützlingen kommt, wird auf sachliche, emotional distanzierte Weise und ohne jegliches Drama beschrieben, was eine Leistung ist angesichts des hoch emotionalen Themas.

Vielleicht liegt es an der nüchternen Erzählweise, vielleicht liegt es daran, dass man von vornherein weiß, dass alles, was hier erzählt werden wird, gründlich schieflaufen wird, dass mir die Figuren nicht wirklich nahegegangen sind. Myriam und Paul sind sicher keine schlechten Menschen und wollten nur das beste für ihre Kinder, aber wirklich mitfühlen konnte ich nicht mit ihnen. Ich habe ihr Leben für eine gewisse Zeit mit Interesse beobachtet, aber sie sind mir etwas fern geblieben - wie Personen, über die man in einem Zeitungsartikel über ein Familiendrama liest. Louise kann man ja gar nicht anders als von Anfang an mit Unbehagen betrachten, und ihre nach und nach erzählte Geschichte hat nicht wirklich Empathie in mir geweckt. Sie ist gewiss ein zutiefst verzweifelter und hilfloser Mensch, die auch nur irgendwie versucht hat, ihr Leben zusammenzuhalten. Sie bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Wahren eines äußerlich makellosen Scheins, einer tiefen Trostlosigkeit und einer gewissen Passivität gegenüber allem, was in ihrem eigenen Leben schiefläuft. Wir lernen sie an einem Punkt kennen, da sie sich wahrscheinlich schon gar nicht mehr selbst helfen kann. Ich habe - auf eine sachliche Weise - Verständnis für sie aufgebracht, aber sie hat in mir kein Mitgefühl geweckt.

Letztlich ist sie doch sehr stereotypenhaft gezeichnet und versammelt in ihrer Figur alles, was einem wohl gewisse gesellschaftliche Probleme vor Augen führen soll: Misshandlungen durch den Ehemann, eine Tochter, die irgendwann Probleme entwickelt, derer sich niemand wirklich annimmt, mangelnde Sozialkontakte, Myriam und Paul, die Arbeitgeber, die alle Annehmlichkeiten, die die Nanny ihnen bietet, gerne annehmen, ohne sich wirklich für sie als Person zu interessieren - als wäre das Ganze (eine verzweifelte Person, die zwei Kleinkinder umbringt) wirklich die Summe seiner Teile.

Wenn das alles nach einem emotionslosen Leseerlebnis klingt, ist das sicher richtig, dennoch hat mir das Buch gut gefallen. Ich bin keine Freundin von Feel-good-Romanen und Happy Ends. Ich finde es eine weitaus größere Leistung, ein derart brisantes Thema fast im Format eines nüchternen Tatsachenberichts aufzurollen. Die emtionale Distanziertheit zu wahren ist in diesem Fall der härtere Weg. Ein rührseliges Buch hätte ich wahrscheinlich sofort weggelegt. Dennoch hatte die Erzählweise für mich einige Mankos: Der allwissende Erzähler war für meinen Geschmack manchmal zu allwissend. So wird beispielsweise plötzlich die Perspektive kleinen Mila wiedergegeben, die für mich keinerlei Mehrwert für die Geschichte hatte. Auch die Kommissarin, die gegen Schluss auftaucht und den Tatort untersucht, wirkte irgendwie unzusammenhängend reingeworfen und hatte dem Ganzen nichts mehr hinzuzufügen.