Rezension

Worte - die Schweizer Messer menschlicher Interaktionen

Feuerland -

Feuerland
von Michael Hugentobler

Bewertet mit 5 Sternen

Worte können schmeicheln, verletzen, verständlich, aber auch fremd sein. Sie beschreiben Welten, können manipulieren, fabulieren, aber auch schonungslos offenbaren. Ein Werkzeug, wenn man es geschickt benutzt, das alles vollbringen kann.

Seine ganz eigene Beweisführung dafür, ist dem Schweizer Michael Hugentobler mit seinem Buch Feuerland gelungen. Hugentoblers Sekundanten (special thanks to Wanda) sind der Ethnologe und Hochschullehrer Ferdinand Hestermann (1878 - 1959) und der Missionar und Sprachwissenschaftler Thomas Bridges (1842 - 1898), die er in ihrer Leidenschaft um ein Yamana-Wörterbuch brennen lässt.

Bridges erstellt dieses Buch in seiner Zeit bei den Yamana-Indianern im argentinischen Feuerland auf einer aufgegebenen Missionsstation. Er taucht tief in die Sprache der aussterbenden Indianer ein, schleppt seinen vermeintlichen Wortschatz auf eine beschwerliche Reise bis nach England, in dem Versuch, Kapital für den Ankauf von Land für seine Schützlinge zu bekommen. Ohne Geld, Respekt für seine Arbeit, aber mit allerlei Tand für die Eingeborenen, wohlwollend gespendet für die Zivilisierung der Rückständigen, kehrt er heim und sich ab, von Freunden, Arbeit und Lebensgeist.
Das Wörterbuch gelangt über erfolglose Diebeshände nach London und wird dort auf einer Sitzbank vergessen.

Hestermann ist der Finder und entflammt sogleich für diese Wortsammlung und bringt sie zuächst nach Münster. Es ist 1938, die Deutschen bereiten sich auf den Krieg vor, sammeln allerlei Beweise für "lebensunwertes Leben" und die Hervorhebung der nordischen Rasse. Dazu gehören auch Worte in all ihren Erscheinungsformen, Schriften, Zeitungen, wissenschaftliche Abhandlungen und Bücher. Sie werden eingefordert, bewertet und zensiert.

Hestermann durchschaut diese Vereinnahmung und verteidigt seinen Schatz mit allen Mitteln. Ein Angebot aus London, dort ein sicheres Versteck zu finden, behagt ihm nicht. Die Rettung der Bücher aus Deutschland gestaltet sich immer schwieriger, die Überzeugungen der Menschen werden zusehends radikaler. Halb verrückt und am Ende seiner Kräfte landet Hestermann schließlich in der Schweiz.

Dem Autoren gelingt es auf wenigen Seiten zwei so unterschiedliche Themen, wie gescheiterte Kolonial-/Missionspolitik und den daraus resultierenden Feindschaftpakt zwischen Großbritannien und Argentinien und dem Großmachtsanspruch der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, unterlegt mit "wissenschaftlichen" Beweisen für die richtigen Verbündetetn , aber auch für die "überlegene" Rasse, in das vergleichsweise unspektakuläre Wirkungsfeld eines Wörterbuchs zu vereinen. Im zugeklappten Zustand unscheinbar, ja vielleicht sogar irreführend, aber aufgeklappt entfaltet es seine volle Wirkkraft, als Buch und als Messer!

Eine volle Abhandlung über Feuerland, dem Zweiten Weltkrieg, der Arbeit eines Linguisten, oder dem allzeit stattfindenden Kunstraub darf man hier nicht erwarten, dafür aber ein Feuerwerk, an dem sich die eigenen Gedanken entzünden können und fabulierte Brücken, die dem Leser einen Wanderweg bieten, dem ich mit meiner Vorliebe für die menschliche Sprache in jeder Hinsicht gern gefolgt bin.

Keine exakten Biografien der beiden Protagonisten, dafür aber auch kein erhobener Zeigefinger lassen Raum für romantische Träumerein eines Bibliophilen, fest verankert auf dem Boden der Tat-sachen menschlicher Entwicklung. Sehr geschickt und sehr anregend.