Rezension

Wortgewaltig und schockierend

Erschlagt die Armen! - Shumona Sinha

Erschlagt die Armen!
von Shumona Sinha

Bewertet mit 5 Sternen

Selten habe ich solch' ein wortgewaltiges Buch gelesen, mit starken Bildern wie in einem Gedicht (sie hat tatsächlich welche geschrieben). Es ist eines von denen, die man mehrfach lesen möchte. Zu wenig versteht man beim ersten Mal, zu viel überliest man, zu sehr erschlagen Sprache und Inhalt.

Eine Handlung gibt es nicht, wohl aber viel Sozialkritisches. Die Ich-Erzählerin hat in der Metro einem Migranten, der sie belästigt hat, eine Weinflasche über den Kopf geschlagen und ihn schwer verletzt. Nun sitzt sie, die Dolmetscherin einer Migrationsbehörde, die dort 'Sprachengymnastik' betreibt und 'der Bindestrich' zwischen der Sprache ihrer alten Heimat (Bengali) und dem Französisch ihres neuen Lebens ist, im Gefängnis. Herr K. - wie sie ihn wegen seines 'langen, knirschenden Nachnamens' nennt - versucht im Verhör, die Beweggründe für ihr Verhalten herauszufinden und wir nehmen als Leser an ihren Gedanken und Rückblicken teil, erfahren von ihrer zermürbenden Arbeit in der Behörde, den Lügen und Vorwürfen, dem Verhältnis zu ihren Eltern, ihrem Sexualleben, ihren Ansichten und Vorstellungen.

Betörend ist die poetische, bildrauschhafte Sprache, die sie aber für verstörende, wütende Gedanken benutzt, für die Schilderung der dreckigen, hässlichen Wirklichkeit des Asylantendramas. Schon der Titel lässt zusammenzucken; er entstammt einem Prosagedicht von Charles Baudelaire (Assommons les pauvres) und ist in diesem Zusammenhang sicher deutungsbedürftig.

Shimona Sinha wurde 1973 in Kalkutta geboren und ging erst 2001, also mit 28 Jahren nach Paris. Um so erstaunlicher, wie virtuos sie mit der französischen Sprache umgeht.

"Die Fremdsprache schmolz in meinem Mund und hinterließ ihr Aroma." (S. 18)

Sie studierte Literaturwissenschaft (mit Abschluss), arbeitete ein paar Jahre als Englischlehrerin und dann in einer Migrationsbehörde als Dolmetscherin für Bengali / Französisch. Ihre Stelle verlor sie dann wegen dieses Buches.

Warum hat sie dieses Buch, das übrigens eher ein Büchlein von 127 Seiten ist, geschrieben? Um ihre Wut abzureagieren? Aus Hass auf diese Männer, die wegen der Asylgesetze gezwungen sind zu lügen? Die sie als Frau verächtlich betrachten, weil sie arbeitet? Die sich ducken und erniedrigen müssen?

Ist es sozialkritisch, weil es indirekt die Asylpolitik in Frage stellt bzw. sie als gescheitert brandmarkt? Schleuser, auch 'Menschenhändler' genannt, scheint der neue Berufszweig unserer Zeit zu sein. Sie verkaufen den Geflohenen nicht nur Reisegelegenheiten und falsche Pässe, sondern auch gleich Lügengeschichten über den Asylgrund mit.

Es ist auf jeden Fall ein lesenswertes, schockierendes, Gedanken anstoßendes Buch