Rezension

Wow - ein Buch, das bewegt und gefangen hält

Der Fürst der Finsternis - Anne Rice

Der Fürst der Finsternis
von Anne Rice

Bewertet mit 5 Sternen

"Kann ich die Schale halten und austrinken?" Das geht Lestat durch den Kopf, als er Zeuge eines Aderlasses wird.

Schön an diesem Buch ist nicht zuletzt die Art und Weise, wie Anne Rice immer wieder die Sinneswelt der Vampire nachzeichnet. Sie achten auf das feine Geflecht der Adern auf den Händen ihrer Opfer - oder auf die Schönheit der Splitter eines Kristallglases. Sie sehen alles anders als wir. 

Ähnlich wie der Vorband hinterfragt auch dieser Band, welche Liebe erlaubt ist und ob die Verwandlung in einen Vampir bestimmte Bande nicht auflöst. Sind Mutter und Sohn auch als Vampire noch Mutter und Sohn, wenn der Sohn die Mutter gebissen hat und sie somit technisch seine Tochter ist? Dürfen sie sich lieben?

Zumindest für mich hat diese Grenzwertigkeit immer einen großen Teil des Charmes des Buchs ausgemacht, muss ich zugeben...
Gabrielle ist ja im Grunde genommen eine Allround-Figur, was Liebe angeht.
Mutter - sie hat ihn ja geboren
Tochter - sie wurde von ihm erschaffen
Geliebte - wenn man davon ausgeht, dass die Verwandlung in einen Vampir die Blutsverwandschaft irgendwie aufhebt, geht auch das
Schülerin - was den vampirischen Aspekt angeht
In der Hinsicht würde ich Gabrielle als Symbol sehen. Wenn ich auch noch nicht genau weiß, wofür.

Es gab aber nicht nur lyrisch schöne Passagen - sondern auch urkomische.

Erstaunlich: dass das Buch mich genauso eingefangen hat wie als vierzehnjähriges Mädchen und das, obwohl es mir jetzt im Nachhinein teilweise sehr strange und einige Stellen extrem weit hergeholt vorkommen. Da wäre mal der Einstieg - Lestat begrüßt den Leser gleich mal mit einer Selbstbeschreibung, die narzistischer kaum geht *g* und die ersten Kapitel, als Lestat noch Mensch war, habe ich mir regelmäßig beim Lesen an den Kopf gegriffen.
Immer wieder kam mir der Gedanke: Meine Güte, der Typ ist doch völlig irre! Der hat seine Nerven nicht beiseite, der reagiert ja total über, ist total sensibel und kann ein Kerl wirklich so drauf sein wie Lestat? Kann jemand echt so gefühlskalt sein wie Gabrielle?
Wobei ich schon mal in einem Anne-Rice-Forum die These gelesen habe, Gabrielle könnte Autistin sein, was ihren Hang zur Einsamkeit etc. sehr schön erklären würde. Aber ich schweife total ab.
Jedenfalls... anfangs war Lestat für mich total unwirklich, wirkte auf mich so, als könnte es keinen Char geben, der echt so sei, er fühlte sich überzeichnet an.
Und dann, an irgendeiner Stelle im Buch, ohne dass ich es bemerkt hätte, verschwand dieses Gefühl. Und wo Lestat teilweise extrem kitschige Vergleiche zog oder emotional völlig überreagierte, kam es mir nicht mehr überzeichnet, seltsam oder unecht vor. Es war einfach typisch Lestat und damit völlig passend zu dieser Figur. Von da an konnte der blonde Bluttrinker echt alles tun, sagen und behaupten und es wirkte authentisch, weil ich ihn schon in den ersten Kapiteln als jemanden kennengelernt habe, der halt so komisch reagiert. Und damit wurde er auf einmal einfach unglaublich echt. Ein genialer Schreibstil, was das angeht.
Und dann war ich in der Story drin und wollte gar nicht mehr heraus. Obwohl der Roman von "sagte, meinte, murmelte" strotzt, trotz so bizarrer und überzogener Formulierungen wie "<>, sagte ich lodernd" oder "Da kam eine Kreatur, derart überwältigend, daß es sogar die Bäume und die Blumen und auch die Luft spürten" geradezu überquoll... fand ich das toll. Ich stieß mich nicht an den trashigen Formulierungen, sie gehörten dazu, denn es war Lestat, der das formulierte und der formuliert eben so. (Für die zwei Textstellen habe ich das Buch einfach zwei mal aufgeschlagen, an x-beliebigen Seiten, und einen besonders prägnanten Satz abgetippt)
Und das muss man als Autorin erstmal schaffen, so zu schreiben, dass man glaubt, dass nicht die Autorin das Buch geschrieben hätte, sondern der Prota. Und dem man darum gerne alle handwerklichen Faux-Pas verzeiht.