Rezension

Wundervolle Lebensgeschichte mit überstürztem & hektischem Ende

Gleitflug - Anne-Gine Goemans

Gleitflug
von Anne-Gine Goemans

Bewertet mit 4.5 Sternen

Gieles ist vierzehn Jahre alt und kommt langsam in die Pubertät. Doch das ist nicht sein größtes Problem: Seine Mutter arbeitet als Entwicklungshelferin in Afrika und das findet er gar nicht gut. Aus diesem Grund startet er eine Rettungsaktion, mit der er seine Mutter zum bei ihm Verbleiben bewegen will. Allerdings passiert genau jetzt so vieles auf einmal, er lernt Gravitation alias Meike kennen und erste sehr körperliche Regungen entstehen bei ihm. Dann ist da noch Toon, sein bester Freund in der Gegend, der allerdings nur noch von einem spricht: Sex, Sex und nochmal Sex. Und darauf hat Gieles keine Lust, er vermisst die Zeit von früher. Außerdem lernt er noch Super Waling kennen, einen wirklich fetten Mann, unglaublich fett.

Es ist eine richtige kleine Dorfgemeinschaft, die die Autorin hier erschaffen hat. Viele verschiedene Charaktere, die mit ihren Eigenheiten Gieles' Leben ordentlich aufmischen, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo er sich voll auf seine Rettungsmission kozentrieren sollte. Und seine Gänse verlangen auch noch nach Aufmerksamkeit. Er hat es also nicht gerade leicht. In dem Buch entwickelt sich so ziemlich jeder weiter, nur Gieles scheint irgendwie auf dem Fleck herumzutreten, doch gerade das macht ihn sympathisch. Es gibt viele Charaktere und jeder einzelne hat sich mir eingeprägt, ein gutes Zeichen, oder? Jeder hat seine Besonderheiten, jeder wird ausgearbeitet und ist nicht stereotyp. Z.B. Toons Mutter kriegt im Verlauf des Buches Brustkrebs und sagt tatsächlich, dass sie sich jetzt nicht mehr für die Piloten, die ja eh fast durch ihr Schlafzimmerfenster fliegen, oben ohne hinstellt - mit nur noch einer Brust. Es gibt noch mehr solche Momente, und gerade die sind es, die den Personen Leben verleihen.

Man erhält Einblicke in Gieles' Leben und Gedankenwelt und findet von ganz schön erwachsen bis noch sehr kindlich alles vor. Er macht sich dabei über viele Dinge Gedanken, und obwohl er einiges nicht so toll findet, ist Gieles einfach so unglaublich höflich und lieb. Die Beziehung, die er zu seinen Enten führt, ist einfach nur herzerweichend. Seine Sorgen, die er sich während der Begegnungen mit den vielen verschiedenen Charakteren seiner Gemeinschaft macht, sind teilweise sehr einfühlsam, insgesondere, wenn man bedenkt, dass wir es hier mit einem Vierzehnjährigen zu tun haben.

Es gibt nicht nur den Haupterzählstrang, sondern es werden viele kleine Geschichten in der großen erzählt. Gieles' Mutter schickt immer E-Mails, die ihre Zeit in Afrika beschreiben. Super Waling gibt ihm die Geschichte seiner Vorfahren zu lesen, und im späteren Verlauf schreibt er nur für Gieles noch den Grund für seine Fettleibigkeit auf. Außerdem ist da noch der Brief an Christian Moullec, den Gieles verfasst. Stück für Stück, und das in einem wirklich niedlichen Deutsch verfasst, so dass man gut erkennt, dass er eigentlich in einer Fremdsprache verfasst wurde, die der Junge nicht beherrscht. Dieser Brief hat mir immer wieder ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert. Moullec existiert übrigens tatsächlich und ist nicht nur nur Tierforscher, sondern auch Umweltschützer - spezialisiert hat er sich auf die Prägung von Gänsen, also passt er wirklich hervorragend zu Gieles und seiner Geschichte. Dies ist auch nicht das einzige reale Vorbild, Goemans nennt einige Flugzeugabstürze und insbesondere Sully, Chesley B. Sullenberger, hat es Gieles angetan. Vielen sicherlich eher als der "Held vom Hudson" bekannt. Und Gieles hat nun mal ein Faible für Helden. 

Es ist keine laute Geschichte, die einen total vom Hocker reißt und bei der man das Ganze innerhalb von gefühlten fünf Minuten durchhat, es ist ein leiser Ton, den die Autorin hier anschlägt. Man zieht für ein Buch lang in die Gemeinschaft am Flughafen ein, regt sich über Lärm und Abfindungen und auch Vögel, welche die Flugzeuge gefährden auf. Zusammen mit Gieles lernt man seine Gänse lieben. Und am Ende musste ich sogar ein Tränchen verdrücken, diese eine Szene hat mein Herz berührt. Positiv ist auch, dass Goemans nicht vor ekligen Beschreibungen zurückschreckt, das macht die unglaubliche Realitätsnähe dieses Buches aus. Da kann ich auch verkraften, dass das Ende sprachlich und in der Umsetzung im Vergleich zum Rest abfällt. Die Spannung, die eigentlich da sein könnte, ist einfach nur Hektik. Schade eigentlich, denn es gab durchaus Potential für einen spannende, mitreißenden Schluss.

Fazit

Gieles' Geschichte ist realistisch und lebensnah. Obwohl es nicht unbedingt laut und tragisch wird, zieht sie einen trotzdem in den Bann. Schade, dass Gieles' Aktion am Schluss nur noch hektisch wird und keine Spannung aufkommt.