Rezension

Zehn links, zehn rechts und ab gehts

Auf dem Tretroller durch Deutschland - Michael Wigge

Auf dem Tretroller durch Deutschland
von Michael Wigge

Bewertet mit 4 Sternen

Michael Wigge lässt sich gern auf Herausforderungen ein. Nach seinen Experimenten "Wigges Tauschrausch" und "Ohne Geld bis ans Ende der Welt" wurde an ihn herangetragen, mit dem Tretroller Deutschland der Länge nach "abzurollern".
Gesagt, getan. Zeit wurden ihm 80 Tage zugestanden, er selbst wollte in der Zeit 30 Geschichten erzählen. Die Wette war schnell abgemacht, ein Tretroller besorgt, Trainingseinheiten wurden absolviert.
Am 1. April beginnt die Tretrollerchallenge auf der Insel Sylt, die ihn in 80 Tagen nach Bayern führen soll.
Aber ist es überhaupt zu schaffen? ...

Michael Wigge nimmt den Leser mit auf eine vergnügliche Reise durch unser Land. Deutschland lernt man mit ihm gemeinsam ein wenig anders kennen.
Michael Wigge durchquert das Land mittels eines Tretrollers, was ja nun nicht unbedingt typisch ist. Es ist ein langsames Vorankommen und vor allem ein recht mühsames. Obwohl er sich die Route von einem Navi-Spezialisten hat zusammenstellen lassen, muss er feststellen, dass diese nicht gut durchdacht ist, denn einige Wege führen ihn auf Landstraßen entlang, statt wie gewünscht auf Fahrradwegen. Dass das Stress pur ist, kann man sich schon denken, wenn man es nur liest.
Die erste Hürde zu nehmen heißt, durch den Sylter Sand den Tretroller zu schieben, bis er auf einen Fahrradweg trifft. Nur gut, dass er körperlich so weit fit ist, sonst wäre die Challenge bereits hier zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Der Autor lässt den Leser nicht nur am Kennenlernen der anvisierten Orte teilhaben, sondern auch an den Gedanken, die ihm nach und nach durch den Kopf gehen, basierend auf Erlebnisse während der Fahrt.
Seine Gedanken zum Alter sind interessant und regen selbst zum Nachdenken an. Plötzlich befindet man sich am Ende des Zeitstrahls und denkt, ups, schon zu Ende? 

Hat man sich auf das Buch eingelassen, ist man unterwegs mit Michael Wigge. Man ist dabei, wenn er den tiefsten Punkt Deutschlands besucht, wenn er sich das kleinste Haus ansieht, in dem einst 11 Menschen lebten, wenn er Versuche im Rhönrad macht oder wenn er die VW-Stadt Wolfsburg besucht. In Wolfsburg gibt es scheinbar nichts, was nicht mit VW zu tun hat, selbst die Currywurst musste dran glauben.

Als Leser ist man hautnah dabei, als er von einem Fahrrad fahrenden Jungen abgehängt wird und auch, als ihn ein Tankstellenman verfolgt. Einige Situationen sind so komisch, dass ich schmunzeln musste.
Einige Male versucht er, Ortsansässige, Touristen oder andere zu einer Auskunft zu bewegen, aber auch das oftmals mit mäßigem Erfolg. Entweder sind seine Anliegen zu verrückt und er wird nicht ernst genommen, oder die angesprochenen Personen haben keine Lust, sich mit ihm auseinanderzusetzen bzw. auch noch dabei gefilmt zu werden. 

Der Leser sieht Deutschland nicht nur durch die Augen von Michael Wigge, er bekommt auch noch ein wenig Hintergrundwissen.
Dass früher Handwerker auf die Walz gingen, war mir bekannt, dass es auch heute noch getan wird, war mir ehrlich gesagt, nicht bewusst.

Feststellen musste er jedoch auch, dass die gesellschaftliche und kulturelle Zusammenführung von Ost und West noch lange nicht abgeschlossen ist und das 25 Jahre nach der Wende.

Egal, ob es ihn nach Thüringen zum schiefsten Kirchturm führte, er eine Sammlerin aufsuchte, die Zucker sammelt, er sich bei den Sandmännern rumtrieb oder im Geburtsort der Gartenzwerge aufschlug, es machte mir Spaß, Michael Wigge zu begleiten.
Er zeigte mir ein wenig von Deutschland, das ich so noch nicht kannte und hat mir Lust auf den ein oder anderen Ort gemacht, den ich gern selbst sehen möchte.
Ich habe ihn sehr gern begleitet und kann das Buch guten Gewissens weiterempfehlen, denn es ist nicht nur ein kleiner Reiseführer.